Kritik jederzeit willkommen!
Titel: Dominatrix
Autor: Fahrenheit1980
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Spoilerhinweise: Irgendwann nach der 4. Staffel (mit einem Dr. Who, der aussieht wie David Tennant)
Kategorie: Comedy/ Science Fiction/ Slice of Life
Charaktere: Dr. Who und ein Ich-Erzähler namens "Sammy"
PROLOG
Wenn es jemanden gibt, der gerade in sein Buch schreibt "...Der Doctor befand sich in der Gewalt der Dominatrix. Ihr wahnsinniges Lachen hallte durch den Raum. Ein grelles Gekreische - so markerschütternd, dass einem die Haare zur Berge stieg. Man stelle sich eine alte verschrumpelte, alte, buckelige Frau vor (sagen wir mal um die 150), die mit ihren frischlackierten roten Fingernägeln eine Schultafel zerkratzt. Danach multipiliziert man es mit der Zahl zehn und quadriert das Ganze noch einmal, bis am Ende der Taschenrechner streikt. Ungefähr so empfanden wir das Schrecken, das uns überfuhr. Doch das war nichts im Vergleich zu der Erkenntnis, dass die Menschheit dem Untergang geweiht war, eine Armlänge entfernt von der endgültigen Versklavung durch die völlig übergeschnappte Dominatrix und ihr nicht minder übergeschnapptes Gefolge von extra-terrestischen, gehirnamputierten, sabbernden "Irgendwas", das der silikonbestückten Porno-Queen andauernd in den Ausschnitt starrte und mir eine Bazooka vor die Nase hielt. Und es gab niemanden, der ihnen Einhalt gebieten konnte.", diese Person, wer es auch sein mag, sollte die letzten beiden Sätze so schnell wie möglich mit der "Delete"-Taste ausradieren. Andernfalls sehe ich mich gezwungen, nach meinem gewalttätigen, überaus schmerzvollen und völlig ungewollten Ableben als Geist die Welt der Lebenden heimzusuchen und diese Person ordentlich in den (die Damen und Herren mögen meine Wortwahl verzeihen) in den "Allerwertesten" zu treten - oder irgendeine andere empfindliche Stelle. Hauptsache es tut mächtig, mächtig weh.
Verdammt, was habe ich mir überhaupt dabei gedacht? Einem fremden Kerl mit schlecht sitzender Krawatte und abstehenden Haaren bei der Rettung der Menschheit zu helfen? Ich meine, schaut mich an! Ich bin wohl der letzte, den man um Hilfe bittet, wenn es darum geht, intergalaktische Invasoren Paroli zu bieten. Nicht einmal meine Großmutter (Gott hat sie gnädig) würde mir auch nur ansatzweise eine derartige Aufgabe zutrauen. Was zur Hölle habe ich dann hier zu suchen? Ausgerechnet ich? Sammy, der seit 28 Jahren, seit dem Tag, an dem er auf die Welt kam, jedem Problem erfolgreich aus dem Weg gegangen ist? Sammy, der nichts weiter wollte als ein erholsames Wochenende in London? Sammy, der während des Abiturs dreimal hintereinander zum "langweiligsten Durchschnittsschüler" gewählt wurde? Dieser Sammy? Wieso hat der Kerl nicht jemanden wie Arnold Schwarzennegger, Sylvester Stallone oder Bruce Willis gefragt? Jemanden mit mehr Muckis, mehr Bizep, mehr Testosteron und immer einem coolen Spruch auf den Lippen? Moment... Hat er mich überhaupt gefragt? Wenn ich es mir recht überlege: Eigentlich hat er mich in diese Bredouille hineingezogen! Einfach so!
Also, wenn ich wegen ihm draufgehe, kann er später im Jenseits was erleben, dieser Doctor! Sagt, er sei so was von clever und tappt trotzdem in die Falle der Dominatrix. Er, der Doctor! Mister "Ich-weiß-alles-und-kann-alles"! Genau dieser Typ dort vorne! Seinetwegen stehe ich mit einem Bein im Grab. In einem Raumschiff auf dem Mond. 384000 und paar zerquetschte Kilometer von der Erde entfernt.
Jetzt steckt der Doctor in einem blauen Licht fest, gefangen in einer Mini-Zeitschleife. Immer und immer wieder hebt er den Arm und schreit "Da..." mit zusammengezogenen Augenbrauen und einer todernsten Miene (als wäre er Rambo ohne dieses lächerliche Stirnband, das zerrissene, mit Schweiß durchtränkte Muscle-Shirt und das Maschinengewehr mit Unendlich-Munition). Wie ein kaputter Filmstreifen, der mittendrin aufhört und von vorne beginnt nur, um an derselben Stelle aufs Neue stehenzubleiben und zum Anfang zurückzukehren. Und jedes Mal schreit er "Da...".
Gott, was stinkt denn hier so?! Hat irgendeiner von diesen Kreaturen einen fahren lassen? O Gott! Da schon wieder! Und jetzt lacht er auch noch!
Wieso muss diese Dominatrix ausgerechnet diese schleimigen, grünen, aufgeblähten Ungetüme mit diesen riesigen schwarzen Augen als Gefolge haben? Diese... "Irgendwas"?! Wie hat der Doctor sie noch mal genannt? Slith... Sleth... Sleuth... Ach was soll's! In vier Minuten ist eh alles vorbei.
Ich kann also folgendes tun: Entweder ich hole mein I-Pod raus und höre mir ein letztes Mal das Duett mit Madonna und Justin Timberlake an. Oder ich lege meine Hand auf die Brust der Porno-Queen, um endlich die Frage zu klären, ob diese Dinger echt sind oder doch nur von der Stange. Ich kann euch auch erzählen, wie ich mich in diesen Schlamassel hineingeritten habe. Mein vollkommen verrücktes Abenteuer mit der Porno-Queen, die glaubt, der Planet Venus wurde nach dem gleichnamigen Lied von Bananarama benannt, und dem einzigartigen, superintelligenten, hyperaktiven und dauerquasselnden Doctor.
Weil, wie mir gerade einfällt, der Akku von meinem I-Pod leer ist und der Vorbau der Porno-Queen schon vom Weiten unmöglich eine Laune von Mutter Natur sein kann und ich meine letzten Minuten nicht damit zubringen möchte, als Lustmolch verschrieen zu werden, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als euch meine Leidensgeschichte ans Herz zu legen.
KAPITEL 1
Also, wo fange ich an? Gleich an der Stelle, wo es richtig zur Sache geht? Der mysteriöse Mord auf der Premierenfeier? Das viele Blut? Die zerquetschten Gedärme? Das hysterische Geschrei? Das aufgeplatzte Kleid der Porno-Queen? Der Doctor und seine lächerliche Sherlock-Holmes-Pfeife? Der Auftritt der Dominatrix in "Comic Relief"? Die Neuauflage von "Red Dwarf"?
Vielleicht wäre es doch am Besten, wenn ich mich erst einmal vorstelle. Sammy ist mein Name. Na ja, eigentlich ist das mein Spitzname. Mein richtiger Name geht aus dem Vietnamesischen, Chinesischen und Japanischen zurück. Weil die Aussprache für jeden - selbst für meine Familie - eine ungeheure Tortur darstellt und ich es leid bin, andauernd zu erklären, warum das „T“ sich wie ein „D“ anhört, habe ich mir irgendwann (ich glaube das war in der siebten oder achten Klasse) einen Spitznamen zugelegt: „Sammy“, ein Anagramm aus den Initialen meines Vor-, Zu-, Zweit und Nachnamens.
Geboren wurde ich in einer Kleinstadt im Norddeutschland, nahe der holländischen Grenze. Um ehrlich zu sein, ist das mehr ein abgeschiedenes, ländliches Dörfchen. 1500 Einwohner, eine Kirche, ein Kindergarten, eine Grundschule, ein Krankenhaus, zwei Kneipen, abertausende Kühe, eine Telefonzelle und ein einziger Briefkasten. (Vor gut zehn Jahren hatten vor noch zwei. Doch der wurde außer Betrieb genommen, weil er sich nicht rentierte.)
Meine Mutter war eine Vietnamesin mit chinesischen Wurzeln. Während des Vietnamkriegs, als ihr Dorf dem sinnlosen Gemetzel und des Dauer-Bombardements zum Opfer fiel, floh sie nach Hong Kong. Über die näheren Umstände ihrer Flucht hatte meine Mutter nur selten ein Wort verloren. Denn jedes Mal, wenn sie sich an die Zeit zurückerinnerte, verwandelte sie sich in die junge Frau zurück, die Tage und Nächte mit hundert anderen Leidensgenossen zusammengekauert auf dem Deck eines kleinen Fischerboots verbrachte, umgeben vom salzigen Wasser, dem unendlichen Horizont und den Gefahren, die sich dahinter verbargen: Stürme, Haie, Piraten und die sengende Hitze.
In einem Auffanglager für Flüchtlinge traf meine Mutter auf einen jungen chinesischen Soldaten japanischer Abstammung. Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick, für sie war es die Chance, ein festes Dach über dem Kopf zu kriegen. Es sollte noch eine Zeitlang dauern, bis sie in ihm den Mann sah, mit dem sie bereit war, eine Familie zu gründen. Etwa ein Jahr nach der Geburt meines ältesten Bruders beschlossen meine Eltern, Hong Kong den Rücken zu kehren. Es zog sie nach Deutschland, in jene Kleinstadt. Dort kamen ich und mein jüngerer Bruder zur Welt.
Meine Kindheit verlief stinknormal. Kaum der Rede wert. Meine Jugend hingegen war die reinste Katastrophe: Pickel, Stimmbruch, Hormon-Stau, Mädchenprobleme und schlechte Zensuren. Das Abitur hatte ich mit Ach und Krach bestanden. Danach ließ ich mich ein ganzes Jahr hängen, saß zuhause vor dem Fernseher, ernäherte mich hauptsächlich von Chips, Pizza und Pommes, trank mindestens vier Liter Cola am Tag und nahm auf diese Weise dreißig Kilo zu. Natürlich waren meine Eltern mit meiner No-Future-Einstellung überhaupt nicht einverstanden. Es kam täglich zu Streitereien, Handgreiflichkeiten mit meinem Vater, die damit endeten, dass meine Mutter in Tränen ausbrach, und dumme Bemerkungen von meinen beiden superintelligenten, superbegabten und supererfolgreichen Brüdern.
Tja, dann kam die Nacht, in der zwei Polizeibeamte an unserer Haustür klopften. Einer von ihnen erzählte, ein Motorradfahrer mit etwa 9,1 Promille Alkohol im Blut habe die Kontrolle über seine Maschine verloren. Mein Vater hatte noch versucht ihm auszuweichen. Leider vergeblich. Er und meine Mutter waren auf der Stelle tot…
Weil mein jüngerer Bruder zu dem Zeitpunkt noch minderjährig war und das Lehrgeld des älteren nicht ausreichte, um uns alle durchzubringen, wurde mir klar, dass sich die Probleme nicht dadurch lösten, indem man die Titel sämtlicher Folgen von „Star Trek“, „Stargate“ und „Red Dwarf“ auswendig lernte. Ich ging also zum Arbeitsamt, durchforstete die Stellenanzeigen und nahm die Jobs an, die ich kriegen konnte: Pizza-Lieferant, Regalauffüller, Reinigungskraft, Inventur Helfer, Zeitungsträger etc. Während dieser Zeit verlor ich mein Übergewicht, meine Hühnerbrust, mein Hüpftgold und etwa 30% meiner Körperbehaarung, nachdem ich mich als Testperson für ein nicht zugelassenes Präparat gegen Heuschnupfen zur Verfügung stellte. (Für die 1500 DM, die ich dafür bekam, hätte ich mir damals sogar freiwillig einen Finger abgeschnitten. Schließlich bezahlen sich die Rechnungen nicht von allein.)
Als mein jüngerer Bruder mit der Schule fertig war, eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolvierte, anschließend eine Festanstellung bei einer großen Software-Firma ergatterte und der Älteste von uns drei eine eigene PR-Agentur gründete, stand ich vor der Wahl: Entweder kehrte ich zu meinem alten gemütlichen Fast-Food-Leben zurück und ließ mich von meinen Brüdern aushalten oder ich schrieb mich an der Uni ein. Ich entschied mich für letzteres, zumal ich keine Lust hatte, als 400-Kilo-Mann ins Gras zu beißen, aufgedunsen und halbverwest mit einem Kran aus meinem Leichenbett hinausgetragen zu werden und von dort in einem XXXXL-Sarg in ein XXXXL-Grab.
Mein Studium in Medienwissenschaften beendete ich im 14. Semester, vor genau zwei Wochen. Ich weiß, 14 Semester sagen nicht gerade viel über meine Intelligenz aus. Erst recht nicht, wenn ich hinzufüge, dass ich meinen Abschluss erst im zweiten Anlauf geschafft habe. Wie gesagt, im Gegensatz zu meinen Brüdern bin ich der absolute Loser.
Nach der Diplomübergabe beschloss ich, meine gesamten Ersparnisse zusammenzukratzen und mir eine Weltreise zu gönnen. Raus aus dem stinklangweiligen Alltagstrott und rein ins Vergnügen!
Zuerst ging es nach Birmingham, zu dem einzigen noch lebenden Bruder meiner Mutter. Bedauerlicherweise stellte sich Birmingham als langweiliges Städtchen heraus, in dem nichts, wirklich nichts los war.
Mein Onkel riet mir, mal bei seiner ältesten Tochter, also meiner Cousine, vorbeizuschauen, die in London wohnt. Dort geschehe immer etwas - vor allem während der Weihnachtstage. Gesagt, getan: Sachen gepackt, Busticket gekauft und los ging’s in Richtung Millionenmetropole. Big Ben, Buckingham Palace, Westminster Abby, Trafalgar Square, Doppeldeckerbus, Notting Hill, Amy Winehouse und und und.
In London angekommen, machte ich mich gleich sofort auf, meiner Cousine einen Besuch abzustatten. Allerdings lässt mein Orientierungssinn sehr zu wünschen übrig - und Kartenlesen war noch nie meine Stärke. (Mal ehrlich, blickt irgendjemand bei dem ganzen Straßennammen-Wirrwarr durch?) Aber das war leider nicht mein einziges Problem. Habe ich schon erwähnt, dass mein Englisch unter aller Sau ist? Besonders mit dem "th" habe ich meine liebe Not. Und was die Grammatik betrifft, sollte der geneigte Englischsprecher froh sein, das ich überhaupt das Past Tense vom Simple Present unterscheiden kann. Ansonsten reichen meine Kenntnisse gerade noch aus, um bei McDonald's einen Cheeseburger zu bestellen oder jemanden nach dem Weg zu fragen (solange dieser nicht im Cockney-Dialekt redet). Gut, ich hätte auch ein Taxi nehmen können, wenn ich dafür nicht so geizig wäre. (Immerhin gab mir meine Irrfahrt die Gelegenheit, mir ein Bild von der Stadt zu machen – und natürlich jede Menge Fotos für mein Sammelalbum zu schießen.)
Nach zwei unendlich langen Stunden durch halb London schlenderte ich die Themse entlang. Zu meiner Linken das absolute Postkarten-Panorama: Das rauschende, schwarzblaue Wasser, die grauweißen Möwen, die Fischkutter und Fähren und irgend so ein Typ, der mal wieder versucht, einen Rekord im Langstreckenschwimmen aufzustellen (wie jedes Jahr). Zu meiner Rechten: Verkehrschaos, Menschenmassen und ein riesiges Werbeschild mit der Aufschrift "Simon Pegg, Martin Freeman, Kate Ashfield and Mandy Candy in THE PROFESSOR. Created by R. T. Davies. Don't Miss the Premiere of the Brand New Series on BBD One. Today at 7 p.m.".
Mitten auf dem Weg stieß ich auf eine alte britische Polizei-Notrufzelle – auch Police Box genannt. Dieses Ungetüm wurde sofort in meiner Digitalkamera verewigt. Denn es war nicht wie die anderen Police Boxes rot, sondern blau. Darüber hinaus schien es ziemlich alt zu sein. Nahezu prähistorisch, antik.
Aus reiner Neugier fasste ich den Entschluss, einen Blick in das Innere der blauen Police Box zu werfen und nachzuprüfen, ob das Ding noch funktionierte. Doch kaum hatte ich die Tür erreicht, schoss sie mir unversehens mit einem lauten Knall ins Gesicht. Und das nächste, was ich - abgesehen von dem höllischen Schmerz - vernahm, war die Stimme eines Mannes, die wie ein Echo in meinen Ohren hallte: „Oh, I’m sorry. I’m so sorry.“
Ab hier begann mein Abenteuer voller tödlicher Gefahren und skurriler Begegnungen...
KAPITEL 2
Da stand er, der Kerl, der in den nächsten Tagen mein Weltbild vollkommen auf den Kopf stellen würde. Gekleidet in einem dunkelbraunen Anzug. Eine kaminrote Krawatte um den Hals, passend zu seinem weißen zerknitterten Hemd, das regelrecht danach schrie, gebügelt zu werden. Darüber trug er einen Mantel.
Als ich wieder zu Sinnen kam und das verschwommene Gesicht des Mannes sich vor meinen Augen manifestierte, war das erste, was mir durch den Kopf schoss, eine elektrische Reaktion meiner Synapsen (im gemeinen Volksmund auch als „graue Zellen“ bekannt), die sich zu einem Gedanken formten und schließlich zu einer Frage: „Hat der Kerl schon mal in Erwägung gezogen, den Nutzen eines Kamms anzuerkennen?“
„Are you alright“, fragte mich der Mann. Erst in dem Augenblick bemerkte ich, dass Blut aus beiden Nasenlöchern floss.
„Apparently not“, merkte mein Gegenüber mit dem zersausten Haar und der gräßlichen Krawatte an und reichte mir ein Taschentuch, das er irgendwo aus seinem Mantel hervorkramte mit einer Reihe von anderen Sachen, so zum Beispiel einen silbernen Kugelschreiber, eine Brille und einen Reisepass.
Während ich mit dem Taschentuch meine Nase zuhielt, um die Blutung zu stillen, sagte er: „Sorry for your... encounter with the door.“
„I’m fine“, entgegnete ich ihm.
Mein starker Akzent verriet dem Mann sofort, dass ich kein Brite war. Das allein genügte, um seine Neugier zu wecken. Und ehe ich mich versah, bedrängte er mich mit der Frage über meine Herkunft. Ich hoffte ihn mit meinem gebrochenen Englisch einigermaßen zufrieden zu stellen. Allerdings erwies sich das Gespräch mit dem Mann als ziemlich anstrengend. Dieses verlief, soweit ich mich erinnern kann, anfangs ungefähr so ab:
Er: „Where are you from?“
Ich: „Germany.“
Er (in einem höchst erfreuten Tonfall): „Ach, das gute alte Deutschland!“
Seltsamerweise beherrschte er die deutsche Sprache besser als ich die englische, was mich einerseits schockierte, andererseits grün vor Neid werden ließ. Dass ihm zudem ein akzentfreies Deutsch gelang, versetzte meinem bereits angeschlagenen Ego einen weiteren herben Schlag, von dem ich mich wohl erst auf der Couch meines Therapeuten wieder erholen werde (vorausgesetzt ich komme hier lebend raus!).
Bis hierhin gab es zwischen uns beiden keinerlei Verständigungsprobleme – zumindest was der sprachliche Teil anbelangte. So brauchte ich mich nicht länger mit meinem miserablen Englisch abzumühen und die Verfechter der englischen Grammatik in Verlegenheit zu bringen, die mich für jedes Tempus-Vergehen, das ich seit meiner Ankunft in Good Old Britain begangen habe (vor etwa vier Tagen), am liebsten in den Tower werfen würden.
Nun zurück zu meiner äußerst „produktiven Konversation“ mit jenem Kerl. Obwohl wir in derselben Sprache kommunizierten, bedeutete das noch lange nicht das Ende unserer Differenzen.
Er: „Und wo kommst du her?“
Ich: „Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt.“
Er: „Nein, nein. Ich meine: Wo kommst du wirklich her?"
Ich: „Aus Oedingenhausen, wenn Sie es genau wissen wollen.“
Er: „Nein, nein, das meinte ich nicht.“
Ich: „Und was meinen Sie dann?“
Er: „Na, eben woher du kommst.“
In meinen 28 Lebensjahren hatte ich schon einige dumme Unterhaltungen geführt. Doch die gehört definitiv zu den dümmsten, zumal ich die ganze Zeit meine blutende Nase mit einem Taschentuch zuhielt, um zu verhindern, dass ein Tropfen von meinem kostbaren Lebenselixier den Mantel meines Gegenübers ruinierte. Man kann sich vorstellen, wie dämlich ich mir dabei vorkam. Zu allem Überfluss schien mein Gesprächspartner schwer von Begriff zu sein.
Woher komme ich? O-E-D-I-N-G-E-N-hausen. Wie hätte ich denn sonst antworten sollen?
Er: „Das habe ich ja auch verstanden. Ich will nur wissen, woher du kommst.“
Ich: „Oedingenhausen.“
Er: „Kann es sein, dass du ein klein bisschen begriffsstutzig bist?"
Wäre er keinen halben Kopf größer, hätte ich ihm für diese Bemerkung vielleicht eine verpasst. Ich zügelte mich, versuchte ihm jedoch deutlich zu machen, dass ich keine Lust mehr hatte, meine Energie in dieses "sinnlose" Gespräch zu investieren. Zu meinem Leidwesen ließ der Kerl nicht locker.
Er: „Chinese? Koreaner? Japaner?“
Ab da verstand ich endlich, was er die ganze Zeit von mir wollte. „Ein Viertel Japaner, ein Viertel Vietnamese und zur Hälfte Chinese", sagte ich und fügte noch ganz leise ein "glaub ich" hinzu.
Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht schlug er mir auf die Schulter. "Wusste ich's doch", kam ihm über seine verschmitzten Lippen. "I'm the Doctor by the way."
„Sammy."
„Well, have a nice day, Sammy. And don't turn the TV on today", mit diesen Worten verabschiedete er sich von mir. Soviel zu meiner ersten Begegnung mit dem Doctor.
Ungefähr eine halbe Stunde später fand ich die Straße, in der meine Cousine wohnte. Auf dem Weg zu ihrem Apartement fielen mir die zahlreichen Werbeplakate auf, die überall an den Wänden hingen.
"Join Simon Pegg on his phantastic journeys in THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."
"Every traveller needs a companion. Kate Ashfield in THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."
"Martin Freeman is THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."
"Temptation has a new name. Mandy Candy in THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."
Ich rief mir die Worte des Doctors zurück ins Gedächtnis, und obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht ganz genau begriff, was es mit dem letzten Satz auf sich hatte, überkam mich doch ein ungutes Gefühl.
KAPITEL 3
Rückblickend hätte ich gleich ahnen müssen, dass irgendetwas faul war. Bereits bei meiner Ankunft erregten diese Plakate meine Aufmerksamkeit. Zuerst wusste ich nichts mit ihnen anzufangen und vermutete eine groß angelegte Werbekampagne für eine prominent besetzte TV-Show. Leider muss ich gestehen, dass mir nur zwei Namen geläufig waren. Simon Pegg kannte ich aus „Shaun of the Dead“, Martin Freeman aus „Per Anhalter durch die Galaxis“. Von den beiden Frauen hatte ich nur Kate Ashfield irgendwo schon mal was gesehen. Wahrscheinlich als Gaststar in einer Comedy? Little Britain? Coupling? Der Name Mandy Candy sagte mir jedoch nichts. Bei den Engländern schien sie dafür umso mehr eine gewisse Bekanntheit zu genießen. In den Zeitungen, Magazinen und im Fernsehen wurde über jede Kleinigkeit um ihre Person berichtet. Unter anderem galt sie für viele als die britische Antwort auf Pamela Anderson. Der Vergleich zu dem amerikanischen Pendant bot sich allein optisch an. Sowohl Pamela Anderson als auch Mandy Candy teilten sich denselben BH-Hersteller. Nur wurde gemunkelt, dass bei Mandy Candy kein Schönheitschirurg Hand angelegt hatte. Angeblich. Alles nur PR? Oder steckte etwas viel Absurderes dahinter? Wie zum Beispiel, dass Mandy Candy in Wahrheit aus den tiefen Weiten des Weltalls zu uns auf die Erde gekommen war, um die (Film-)Welt zu erobern? Vielleicht konnte sie auf ihrem Planeten keine Karriere machen und dachte sich, bei uns hätte sie bessere Chancen?
Aber genug mit den „Spoilers“. Kommen wir wieder zur eigentlichen Geschichte zurück.
Ich kam im Apartment meiner Cousine unter. Weihnachten stand vor der Tür. Nur noch drei Tage bis Heiligabend, Geschenke auspacken, sich ordentlich den Bauch voll schlagen und sich zu Tode langweilen. Jedoch war meine Cousine alles andere als in Vorweihnachtsstimmung. Sie ist die persönliche Assistentin eines der einflussreichsten Filmproduzenten Englands. So kurz vor den Feiertagen bedachte man sie noch mal ordentlich mit einem Stapel Arbeit. Obendrein sollte sie im Namen ihres Chefs zusammen mit ihrem Lebensabschnittpartner auf der Premierenfeier von THE PROFESSOR erscheinen. Das Dumme war nur: Meine Cousine ist seit zwei Jahren Single. Ihr letzter Freund soll sich vor ihren Augen in hundert kleine Fett-Monster aufgelöst haben. Es geschah während ihres 3. Jahrestags. Sie hat sich bis heute nicht von dem Schock erholt.
Also bat meine Cousine mich, sie auf dieser Veranstaltung zu begleiten. Sie meinte, ich würde dort auf bekannte Gesichter treffen, unter anderem die Stars der Show: Simon Pegg, Martin Freeman, Kate Ashfield und Mandy Candy. Weil ich an dem heutigen Abend sowieso nichts vorhatte, willigte ich ein. Hätte ich vorher geahnt, was alles auf mich zukommen würde, hätte ich mich wahrscheinlich anders entschieden. Ich bin nun mal nicht der Typ, der sich freiwillig irgendwelchen Problemen stellt – vor allem dann, wenn sie mich überhaupt nichts angehen. Doch das Schicksal schien zu dem Zeitpunkt einen Groll gegen mich zu hegen.
Die Premierenfeier fand im Penthouse von Mr. Davies statt, dem Schöpfer der Show, die, wie ich später erfuhr, eine Science-Fiction-Serie war. Darin ging es um einen genialen Zeitreisenden, gespielt von Martin Freeman. Dieser versuchte die Erde vor einer außerirdischen Bedrohung zu beschützen. Zwei so genannte Companions standen ihm zur Seite: Einen Soldaten aus dem 25. Jahrhundert (Simon Pegg) und eine angehende Ärztin aus der Gegenwart (Kate Ashfield). Ergänzt wurde das Team durch die Enkelin des Zeitreisenden, Mandy Candy. Leider beschränkte sich Mandy Candys Rolle auf die des naiven Blondchens. Deren Hauptaufgabe bestand offenbar darin, ihren spektakulären Vorbau in Zaum zu halten, der insbesondere auf den männlichen Zuschauer eine hypnotische Wirkung ausübte. Nichts das ich irgendwas dagegen hätte. „Sex sells“. Aber man kann’s auch übertreiben.
Neben den Stars, den Verantwortlichen der Show, den Produzenten und deren Begleitung waren noch eine Handvoll Journalisten auf der Feier zugegen. Die machten sich dran, vor allem den Hauptdarsteller, Martin Freeman, und Mandy Candy mit Fragen zu durchlöchern. Während Martin Freeman hauptsächlich über seine Arbeit als Schauspieler reden durfte, musste Mandy Candy das eine oder andere pikante Detail aus ihrem Privatleben plaudern. Ein weiterer Beweis dafür, dass man sie weniger wegen ihrer darstellerischen Leistungen angeheuert hatte.
Kurz vor 7 Uhr ging’s los. Die gesamten Räumlichkeiten wurden abgedunkelt. Überall schalteten sich gleichzeitig die Plasma-Fernseher an. Mr. Davies, seines Zeichens exzentrischer Multimillionär um die 50, hatte in jedem Zimmer mindestens zwei in den Wänden einbauen lassen. Selbst die Küche, in dem sich das Catering-Personal aufhielt, blieb von seiner geradezu obsessiven Vorliebe für hochauflösende Bildschirme nicht verschont.
Um Punkt 7 folgte der Vorspann zu THE PROFESSOR: Eine Art intergalaktischer Raum-Zeit-Tunnel, in dem eine Telefonzelle herumwirbelte. Eigentlich ganz schön witzig. Nur die Musikuntermalung sollten sie noch mal gründlich überarbeiten.
Bedauerlicherweise konnte ich die Show nur bis zur ersten Werbeunterbrechung verfolgen. Denn als ich mich dazu durchrang, mich ein wenig am Büffettisch zu vergnügen, bemerkte ich ein bekanntes Gesicht unter den Anwesenden: Meine nette
Bekanntschaft von heute Vormittag, der Doctor. Was für ein Zufall! Oder soll ich besser sagen: Was für ein Pech?!
Ich zog es vor, ihm aus dem Weg zu gehen, aus Angst vor einer weiteren „produktiven Konversation“. Außerdem hatte meine Cousine mir verboten, mich mit einem der Gäste zu unterhalten. Mein schlechtes Englisch sei ihrer Meinung nach alles andere als salonfähig.
Ich beobachtete den Doctor eine Weile. Dabei fiel mir das eine oder andere seltsame Verhalten von ihm auf. So schlich er sich vorsichtig an den Gästen heran und schaute ihnen über die Schulter. Sobald sie ihre Blicke auf ihn lenkten, entschuldigte er sich bei ihnen mit einem breiten Grinsen und zog sich zurück.
Er machte den Eindruck, als suche er nach irgendwas. Doch was? Und wieso konzentrierte er sich hauptsächlich auf die weiblichen Gäste? Komischer Kauz. (Was es mit dieser Geheimnistuerei auf sich hatte, würde ich noch früh genug erfahren.)
Schließlich kam er zu Mandy Candy, die bereits nach dem zweiten Champagnerglas etwas beschwipst war. Ich stand nur einen Meter von ihnen entfernt und konnte hören, wie er ihr eine überaus gewagte Frage stellte: „Excuse me, are they real?“
Mandy Candy warf ihm einen irritierten Blick zu. „Pard’ me?“
„Are they real? You know.“ Er zeigte auf ihr langes blondes Haar, das ihren Rücken hinunterlief. Man brauchte kein Experte zu sein, um zu erkennen, dass es sich dabei um Extensions handelte. Auch die Haarfarbe war nicht natürlich. Oder gibt es tatsächlich Menschen, die wasserstoffblond auf die Welt kommen?
Mr. Davies, der sich zufällig in der Nähe aufhielt, gesellte sich zu ihnen und verlangte von dem Doctor zu wissen, ob es ein Problem gäbe.
„No“, entgegnete der Doctor ihm und fügte in einem scherzhaften Tonfall hinzu. „I am just curious about the hair of the pretty young lady here.“
In diesem Moment hatte der Doctor mich im Visier. Ich versuchte mich noch schnell zu verdrücken. Leider zu spät. „What a nice coincidence. Sammy, altes Haus!” Er kam auf mich zu, klopfte mir auf den Rücken und legte einen Arm um meine Schulter: „Was hat dich denn hierher verschlagen?“
„Ich begleite nur meine Cousine.“
„Und wie geht’s deiner Nase?“
„Bestens“, entgegnete ich ihm. Ich hoffte inständig, dass er sehr bald das Interesse für mich verlor. Gott sei Dank wurden meine Gebete erhört.
Der Doctor bemerkte den Teller, den ich in meiner Hand hielt. Ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen, nahm er sich die Freiheit, etwas von meinen Appetithäppchen zu stibitzen, die ich mir sorgfältig vom Büffet herausgesucht hatte. „War schön mit dir zu reden“, sagte er. „Leider muss ich jetzt wieder los. Die Pflicht ruft.“ Er setzte seinen Rundgang fort. Wenig später verschwand er in einen der anderen Räume.
In meiner Erleichterung griff ich nach einem Glas Champagner, den ich in einem Zug leerte. Danach beschloss ich, noch mal rasch auf die Toilette zu gehen, bevor die Show wieder anfing. Dass meine schwache Blase mich eines Tages vor einer außerirdischen Gefahr beschützen würde, hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal zu träumen gewagt. Und doch war genau das eingetreten.