• Kritik jederzeit willkommen!


    Titel: Dominatrix


    Autor: Fahrenheit1980


    Altersfreigabe: ab 12 Jahren


    Spoilerhinweise: Irgendwann nach der 4. Staffel (mit einem Dr. Who, der aussieht wie David Tennant)


    Kategorie: Comedy/ Science Fiction/ Slice of Life
    Charaktere: Dr. Who und ein Ich-Erzähler namens "Sammy"



    PROLOG


    Wenn es jemanden gibt, der gerade in sein Buch schreibt "...Der Doctor befand sich in der Gewalt der Dominatrix. Ihr wahnsinniges Lachen hallte durch den Raum. Ein grelles Gekreische - so markerschütternd, dass einem die Haare zur Berge stieg. Man stelle sich eine alte verschrumpelte, alte, buckelige Frau vor (sagen wir mal um die 150), die mit ihren frischlackierten roten Fingernägeln eine Schultafel zerkratzt. Danach multipiliziert man es mit der Zahl zehn und quadriert das Ganze noch einmal, bis am Ende der Taschenrechner streikt. Ungefähr so empfanden wir das Schrecken, das uns überfuhr. Doch das war nichts im Vergleich zu der Erkenntnis, dass die Menschheit dem Untergang geweiht war, eine Armlänge entfernt von der endgültigen Versklavung durch die völlig übergeschnappte Dominatrix und ihr nicht minder übergeschnapptes Gefolge von extra-terrestischen, gehirnamputierten, sabbernden "Irgendwas", das der silikonbestückten Porno-Queen andauernd in den Ausschnitt starrte und mir eine Bazooka vor die Nase hielt. Und es gab niemanden, der ihnen Einhalt gebieten konnte.", diese Person, wer es auch sein mag, sollte die letzten beiden Sätze so schnell wie möglich mit der "Delete"-Taste ausradieren. Andernfalls sehe ich mich gezwungen, nach meinem gewalttätigen, überaus schmerzvollen und völlig ungewollten Ableben als Geist die Welt der Lebenden heimzusuchen und diese Person ordentlich in den (die Damen und Herren mögen meine Wortwahl verzeihen) in den "Allerwertesten" zu treten - oder irgendeine andere empfindliche Stelle. Hauptsache es tut mächtig, mächtig weh.


    Verdammt, was habe ich mir überhaupt dabei gedacht? Einem fremden Kerl mit schlecht sitzender Krawatte und abstehenden Haaren bei der Rettung der Menschheit zu helfen? Ich meine, schaut mich an! Ich bin wohl der letzte, den man um Hilfe bittet, wenn es darum geht, intergalaktische Invasoren Paroli zu bieten. Nicht einmal meine Großmutter (Gott hat sie gnädig) würde mir auch nur ansatzweise eine derartige Aufgabe zutrauen. Was zur Hölle habe ich dann hier zu suchen? Ausgerechnet ich? Sammy, der seit 28 Jahren, seit dem Tag, an dem er auf die Welt kam, jedem Problem erfolgreich aus dem Weg gegangen ist? Sammy, der nichts weiter wollte als ein erholsames Wochenende in London? Sammy, der während des Abiturs dreimal hintereinander zum "langweiligsten Durchschnittsschüler" gewählt wurde? Dieser Sammy? Wieso hat der Kerl nicht jemanden wie Arnold Schwarzennegger, Sylvester Stallone oder Bruce Willis gefragt? Jemanden mit mehr Muckis, mehr Bizep, mehr Testosteron und immer einem coolen Spruch auf den Lippen? Moment... Hat er mich überhaupt gefragt? Wenn ich es mir recht überlege: Eigentlich hat er mich in diese Bredouille hineingezogen! Einfach so!


    Also, wenn ich wegen ihm draufgehe, kann er später im Jenseits was erleben, dieser Doctor! Sagt, er sei so was von clever und tappt trotzdem in die Falle der Dominatrix. Er, der Doctor! Mister "Ich-weiß-alles-und-kann-alles"! Genau dieser Typ dort vorne! Seinetwegen stehe ich mit einem Bein im Grab. In einem Raumschiff auf dem Mond. 384000 und paar zerquetschte Kilometer von der Erde entfernt.


    Jetzt steckt der Doctor in einem blauen Licht fest, gefangen in einer Mini-Zeitschleife. Immer und immer wieder hebt er den Arm und schreit "Da..." mit zusammengezogenen Augenbrauen und einer todernsten Miene (als wäre er Rambo ohne dieses lächerliche Stirnband, das zerrissene, mit Schweiß durchtränkte Muscle-Shirt und das Maschinengewehr mit Unendlich-Munition). Wie ein kaputter Filmstreifen, der mittendrin aufhört und von vorne beginnt nur, um an derselben Stelle aufs Neue stehenzubleiben und zum Anfang zurückzukehren. Und jedes Mal schreit er "Da...".


    Gott, was stinkt denn hier so?! Hat irgendeiner von diesen Kreaturen einen fahren lassen? O Gott! Da schon wieder! Und jetzt lacht er auch noch!


    Wieso muss diese Dominatrix ausgerechnet diese schleimigen, grünen, aufgeblähten Ungetüme mit diesen riesigen schwarzen Augen als Gefolge haben? Diese... "Irgendwas"?! Wie hat der Doctor sie noch mal genannt? Slith... Sleth... Sleuth... Ach was soll's! In vier Minuten ist eh alles vorbei.


    Ich kann also folgendes tun: Entweder ich hole mein I-Pod raus und höre mir ein letztes Mal das Duett mit Madonna und Justin Timberlake an. Oder ich lege meine Hand auf die Brust der Porno-Queen, um endlich die Frage zu klären, ob diese Dinger echt sind oder doch nur von der Stange. Ich kann euch auch erzählen, wie ich mich in diesen Schlamassel hineingeritten habe. Mein vollkommen verrücktes Abenteuer mit der Porno-Queen, die glaubt, der Planet Venus wurde nach dem gleichnamigen Lied von Bananarama benannt, und dem einzigartigen, superintelligenten, hyperaktiven und dauerquasselnden Doctor.


    Weil, wie mir gerade einfällt, der Akku von meinem I-Pod leer ist und der Vorbau der Porno-Queen schon vom Weiten unmöglich eine Laune von Mutter Natur sein kann und ich meine letzten Minuten nicht damit zubringen möchte, als Lustmolch verschrieen zu werden, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als euch meine Leidensgeschichte ans Herz zu legen.




    KAPITEL 1


    Also, wo fange ich an? Gleich an der Stelle, wo es richtig zur Sache geht? Der mysteriöse Mord auf der Premierenfeier? Das viele Blut? Die zerquetschten Gedärme? Das hysterische Geschrei? Das aufgeplatzte Kleid der Porno-Queen? Der Doctor und seine lächerliche Sherlock-Holmes-Pfeife? Der Auftritt der Dominatrix in "Comic Relief"? Die Neuauflage von "Red Dwarf"?


    Vielleicht wäre es doch am Besten, wenn ich mich erst einmal vorstelle. Sammy ist mein Name. Na ja, eigentlich ist das mein Spitzname. Mein richtiger Name geht aus dem Vietnamesischen, Chinesischen und Japanischen zurück. Weil die Aussprache für jeden - selbst für meine Familie - eine ungeheure Tortur darstellt und ich es leid bin, andauernd zu erklären, warum das „T“ sich wie ein „D“ anhört, habe ich mir irgendwann (ich glaube das war in der siebten oder achten Klasse) einen Spitznamen zugelegt: „Sammy“, ein Anagramm aus den Initialen meines Vor-, Zu-, Zweit und Nachnamens.


    Geboren wurde ich in einer Kleinstadt im Norddeutschland, nahe der holländischen Grenze. Um ehrlich zu sein, ist das mehr ein abgeschiedenes, ländliches Dörfchen. 1500 Einwohner, eine Kirche, ein Kindergarten, eine Grundschule, ein Krankenhaus, zwei Kneipen, abertausende Kühe, eine Telefonzelle und ein einziger Briefkasten. (Vor gut zehn Jahren hatten vor noch zwei. Doch der wurde außer Betrieb genommen, weil er sich nicht rentierte.)


    Meine Mutter war eine Vietnamesin mit chinesischen Wurzeln. Während des Vietnamkriegs, als ihr Dorf dem sinnlosen Gemetzel und des Dauer-Bombardements zum Opfer fiel, floh sie nach Hong Kong. Über die näheren Umstände ihrer Flucht hatte meine Mutter nur selten ein Wort verloren. Denn jedes Mal, wenn sie sich an die Zeit zurückerinnerte, verwandelte sie sich in die junge Frau zurück, die Tage und Nächte mit hundert anderen Leidensgenossen zusammengekauert auf dem Deck eines kleinen Fischerboots verbrachte, umgeben vom salzigen Wasser, dem unendlichen Horizont und den Gefahren, die sich dahinter verbargen: Stürme, Haie, Piraten und die sengende Hitze.


    In einem Auffanglager für Flüchtlinge traf meine Mutter auf einen jungen chinesischen Soldaten japanischer Abstammung. Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick, für sie war es die Chance, ein festes Dach über dem Kopf zu kriegen. Es sollte noch eine Zeitlang dauern, bis sie in ihm den Mann sah, mit dem sie bereit war, eine Familie zu gründen. Etwa ein Jahr nach der Geburt meines ältesten Bruders beschlossen meine Eltern, Hong Kong den Rücken zu kehren. Es zog sie nach Deutschland, in jene Kleinstadt. Dort kamen ich und mein jüngerer Bruder zur Welt.


    Meine Kindheit verlief stinknormal. Kaum der Rede wert. Meine Jugend hingegen war die reinste Katastrophe: Pickel, Stimmbruch, Hormon-Stau, Mädchenprobleme und schlechte Zensuren. Das Abitur hatte ich mit Ach und Krach bestanden. Danach ließ ich mich ein ganzes Jahr hängen, saß zuhause vor dem Fernseher, ernäherte mich hauptsächlich von Chips, Pizza und Pommes, trank mindestens vier Liter Cola am Tag und nahm auf diese Weise dreißig Kilo zu. Natürlich waren meine Eltern mit meiner No-Future-Einstellung überhaupt nicht einverstanden. Es kam täglich zu Streitereien, Handgreiflichkeiten mit meinem Vater, die damit endeten, dass meine Mutter in Tränen ausbrach, und dumme Bemerkungen von meinen beiden superintelligenten, superbegabten und supererfolgreichen Brüdern.


    Tja, dann kam die Nacht, in der zwei Polizeibeamte an unserer Haustür klopften. Einer von ihnen erzählte, ein Motorradfahrer mit etwa 9,1 Promille Alkohol im Blut habe die Kontrolle über seine Maschine verloren. Mein Vater hatte noch versucht ihm auszuweichen. Leider vergeblich. Er und meine Mutter waren auf der Stelle tot…


    Weil mein jüngerer Bruder zu dem Zeitpunkt noch minderjährig war und das Lehrgeld des älteren nicht ausreichte, um uns alle durchzubringen, wurde mir klar, dass sich die Probleme nicht dadurch lösten, indem man die Titel sämtlicher Folgen von „Star Trek“, „Stargate“ und „Red Dwarf“ auswendig lernte. Ich ging also zum Arbeitsamt, durchforstete die Stellenanzeigen und nahm die Jobs an, die ich kriegen konnte: Pizza-Lieferant, Regalauffüller, Reinigungskraft, Inventur Helfer, Zeitungsträger etc. Während dieser Zeit verlor ich mein Übergewicht, meine Hühnerbrust, mein Hüpftgold und etwa 30% meiner Körperbehaarung, nachdem ich mich als Testperson für ein nicht zugelassenes Präparat gegen Heuschnupfen zur Verfügung stellte. (Für die 1500 DM, die ich dafür bekam, hätte ich mir damals sogar freiwillig einen Finger abgeschnitten. Schließlich bezahlen sich die Rechnungen nicht von allein.)


    Als mein jüngerer Bruder mit der Schule fertig war, eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolvierte, anschließend eine Festanstellung bei einer großen Software-Firma ergatterte und der Älteste von uns drei eine eigene PR-Agentur gründete, stand ich vor der Wahl: Entweder kehrte ich zu meinem alten gemütlichen Fast-Food-Leben zurück und ließ mich von meinen Brüdern aushalten oder ich schrieb mich an der Uni ein. Ich entschied mich für letzteres, zumal ich keine Lust hatte, als 400-Kilo-Mann ins Gras zu beißen, aufgedunsen und halbverwest mit einem Kran aus meinem Leichenbett hinausgetragen zu werden und von dort in einem XXXXL-Sarg in ein XXXXL-Grab.


    Mein Studium in Medienwissenschaften beendete ich im 14. Semester, vor genau zwei Wochen. Ich weiß, 14 Semester sagen nicht gerade viel über meine Intelligenz aus. Erst recht nicht, wenn ich hinzufüge, dass ich meinen Abschluss erst im zweiten Anlauf geschafft habe. Wie gesagt, im Gegensatz zu meinen Brüdern bin ich der absolute Loser.


    Nach der Diplomübergabe beschloss ich, meine gesamten Ersparnisse zusammenzukratzen und mir eine Weltreise zu gönnen. Raus aus dem stinklangweiligen Alltagstrott und rein ins Vergnügen!


    Zuerst ging es nach Birmingham, zu dem einzigen noch lebenden Bruder meiner Mutter. Bedauerlicherweise stellte sich Birmingham als langweiliges Städtchen heraus, in dem nichts, wirklich nichts los war.


    Mein Onkel riet mir, mal bei seiner ältesten Tochter, also meiner Cousine, vorbeizuschauen, die in London wohnt. Dort geschehe immer etwas - vor allem während der Weihnachtstage. Gesagt, getan: Sachen gepackt, Busticket gekauft und los ging’s in Richtung Millionenmetropole. Big Ben, Buckingham Palace, Westminster Abby, Trafalgar Square, Doppeldeckerbus, Notting Hill, Amy Winehouse und und und.


    In London angekommen, machte ich mich gleich sofort auf, meiner Cousine einen Besuch abzustatten. Allerdings lässt mein Orientierungssinn sehr zu wünschen übrig - und Kartenlesen war noch nie meine Stärke. (Mal ehrlich, blickt irgendjemand bei dem ganzen Straßennammen-Wirrwarr durch?) Aber das war leider nicht mein einziges Problem. Habe ich schon erwähnt, dass mein Englisch unter aller Sau ist? Besonders mit dem "th" habe ich meine liebe Not. Und was die Grammatik betrifft, sollte der geneigte Englischsprecher froh sein, das ich überhaupt das Past Tense vom Simple Present unterscheiden kann. Ansonsten reichen meine Kenntnisse gerade noch aus, um bei McDonald's einen Cheeseburger zu bestellen oder jemanden nach dem Weg zu fragen (solange dieser nicht im Cockney-Dialekt redet). Gut, ich hätte auch ein Taxi nehmen können, wenn ich dafür nicht so geizig wäre. (Immerhin gab mir meine Irrfahrt die Gelegenheit, mir ein Bild von der Stadt zu machen – und natürlich jede Menge Fotos für mein Sammelalbum zu schießen.)


    Nach zwei unendlich langen Stunden durch halb London schlenderte ich die Themse entlang. Zu meiner Linken das absolute Postkarten-Panorama: Das rauschende, schwarzblaue Wasser, die grauweißen Möwen, die Fischkutter und Fähren und irgend so ein Typ, der mal wieder versucht, einen Rekord im Langstreckenschwimmen aufzustellen (wie jedes Jahr). Zu meiner Rechten: Verkehrschaos, Menschenmassen und ein riesiges Werbeschild mit der Aufschrift "Simon Pegg, Martin Freeman, Kate Ashfield and Mandy Candy in THE PROFESSOR. Created by R. T. Davies. Don't Miss the Premiere of the Brand New Series on BBD One. Today at 7 p.m.".


    Mitten auf dem Weg stieß ich auf eine alte britische Polizei-Notrufzelle – auch Police Box genannt. Dieses Ungetüm wurde sofort in meiner Digitalkamera verewigt. Denn es war nicht wie die anderen Police Boxes rot, sondern blau. Darüber hinaus schien es ziemlich alt zu sein. Nahezu prähistorisch, antik.


    Aus reiner Neugier fasste ich den Entschluss, einen Blick in das Innere der blauen Police Box zu werfen und nachzuprüfen, ob das Ding noch funktionierte. Doch kaum hatte ich die Tür erreicht, schoss sie mir unversehens mit einem lauten Knall ins Gesicht. Und das nächste, was ich - abgesehen von dem höllischen Schmerz - vernahm, war die Stimme eines Mannes, die wie ein Echo in meinen Ohren hallte: „Oh, I’m sorry. I’m so sorry.“


    Ab hier begann mein Abenteuer voller tödlicher Gefahren und skurriler Begegnungen...




    KAPITEL 2


    Da stand er, der Kerl, der in den nächsten Tagen mein Weltbild vollkommen auf den Kopf stellen würde. Gekleidet in einem dunkelbraunen Anzug. Eine kaminrote Krawatte um den Hals, passend zu seinem weißen zerknitterten Hemd, das regelrecht danach schrie, gebügelt zu werden. Darüber trug er einen Mantel.


    Als ich wieder zu Sinnen kam und das verschwommene Gesicht des Mannes sich vor meinen Augen manifestierte, war das erste, was mir durch den Kopf schoss, eine elektrische Reaktion meiner Synapsen (im gemeinen Volksmund auch als „graue Zellen“ bekannt), die sich zu einem Gedanken formten und schließlich zu einer Frage: „Hat der Kerl schon mal in Erwägung gezogen, den Nutzen eines Kamms anzuerkennen?“


    „Are you alright“, fragte mich der Mann. Erst in dem Augenblick bemerkte ich, dass Blut aus beiden Nasenlöchern floss.


    „Apparently not“, merkte mein Gegenüber mit dem zersausten Haar und der gräßlichen Krawatte an und reichte mir ein Taschentuch, das er irgendwo aus seinem Mantel hervorkramte mit einer Reihe von anderen Sachen, so zum Beispiel einen silbernen Kugelschreiber, eine Brille und einen Reisepass.


    Während ich mit dem Taschentuch meine Nase zuhielt, um die Blutung zu stillen, sagte er: „Sorry for your... encounter with the door.“


    „I’m fine“, entgegnete ich ihm.


    Mein starker Akzent verriet dem Mann sofort, dass ich kein Brite war. Das allein genügte, um seine Neugier zu wecken. Und ehe ich mich versah, bedrängte er mich mit der Frage über meine Herkunft. Ich hoffte ihn mit meinem gebrochenen Englisch einigermaßen zufrieden zu stellen. Allerdings erwies sich das Gespräch mit dem Mann als ziemlich anstrengend. Dieses verlief, soweit ich mich erinnern kann, anfangs ungefähr so ab:


    Er: „Where are you from?“
    Ich: „Germany.“
    Er (in einem höchst erfreuten Tonfall): „Ach, das gute alte Deutschland!“


    Seltsamerweise beherrschte er die deutsche Sprache besser als ich die englische, was mich einerseits schockierte, andererseits grün vor Neid werden ließ. Dass ihm zudem ein akzentfreies Deutsch gelang, versetzte meinem bereits angeschlagenen Ego einen weiteren herben Schlag, von dem ich mich wohl erst auf der Couch meines Therapeuten wieder erholen werde (vorausgesetzt ich komme hier lebend raus!).


    Bis hierhin gab es zwischen uns beiden keinerlei Verständigungsprobleme – zumindest was der sprachliche Teil anbelangte. So brauchte ich mich nicht länger mit meinem miserablen Englisch abzumühen und die Verfechter der englischen Grammatik in Verlegenheit zu bringen, die mich für jedes Tempus-Vergehen, das ich seit meiner Ankunft in Good Old Britain begangen habe (vor etwa vier Tagen), am liebsten in den Tower werfen würden.


    Nun zurück zu meiner äußerst „produktiven Konversation“ mit jenem Kerl. Obwohl wir in derselben Sprache kommunizierten, bedeutete das noch lange nicht das Ende unserer Differenzen.


    Er: „Und wo kommst du her?“
    Ich: „Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt.“
    Er: „Nein, nein. Ich meine: Wo kommst du wirklich her?"
    Ich: „Aus Oedingenhausen, wenn Sie es genau wissen wollen.“

    Er: „Nein, nein, das meinte ich nicht.“
    Ich: „Und was meinen Sie dann?“
    Er: „Na, eben woher du kommst.“


    In meinen 28 Lebensjahren hatte ich schon einige dumme Unterhaltungen geführt. Doch die gehört definitiv zu den dümmsten, zumal ich die ganze Zeit meine blutende Nase mit einem Taschentuch zuhielt, um zu verhindern, dass ein Tropfen von meinem kostbaren Lebenselixier den Mantel meines Gegenübers ruinierte. Man kann sich vorstellen, wie dämlich ich mir dabei vorkam. Zu allem Überfluss schien mein Gesprächspartner schwer von Begriff zu sein.


    Woher komme ich? O-E-D-I-N-G-E-N-hausen. Wie hätte ich denn sonst antworten sollen?


    Er: „Das habe ich ja auch verstanden. Ich will nur wissen, woher du kommst.“
    Ich: „Oedingenhausen.“
    Er: „Kann es sein, dass du ein klein bisschen begriffsstutzig bist?"

    Wäre er keinen halben Kopf größer, hätte ich ihm für diese Bemerkung vielleicht eine verpasst. Ich zügelte mich, versuchte ihm jedoch deutlich zu machen, dass ich keine Lust mehr hatte, meine Energie in dieses "sinnlose" Gespräch zu investieren. Zu meinem Leidwesen ließ der Kerl nicht locker.


    Er: „Chinese? Koreaner? Japaner?“


    Ab da verstand ich endlich, was er die ganze Zeit von mir wollte. „Ein Viertel Japaner, ein Viertel Vietnamese und zur Hälfte Chinese", sagte ich und fügte noch ganz leise ein "glaub ich" hinzu.


    Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht schlug er mir auf die Schulter. "Wusste ich's doch", kam ihm über seine verschmitzten Lippen. "I'm the Doctor by the way."


    „Sammy."


    „Well, have a nice day, Sammy. And don't turn the TV on today", mit diesen Worten verabschiedete er sich von mir. Soviel zu meiner ersten Begegnung mit dem Doctor.


    Ungefähr eine halbe Stunde später fand ich die Straße, in der meine Cousine wohnte. Auf dem Weg zu ihrem Apartement fielen mir die zahlreichen Werbeplakate auf, die überall an den Wänden hingen.


    "Join Simon Pegg on his phantastic journeys in THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."


    "Every traveller needs a companion. Kate Ashfield in THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."


    "Martin Freeman is THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."


    "Temptation has a new name. Mandy Candy in THE PROFESSOR. Today at 7 p.m. on BBD One."


    Ich rief mir die Worte des Doctors zurück ins Gedächtnis, und obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht ganz genau begriff, was es mit dem letzten Satz auf sich hatte, überkam mich doch ein ungutes Gefühl.




    KAPITEL 3


    Rückblickend hätte ich gleich ahnen müssen, dass irgendetwas faul war. Bereits bei meiner Ankunft erregten diese Plakate meine Aufmerksamkeit. Zuerst wusste ich nichts mit ihnen anzufangen und vermutete eine groß angelegte Werbekampagne für eine prominent besetzte TV-Show. Leider muss ich gestehen, dass mir nur zwei Namen geläufig waren. Simon Pegg kannte ich aus „Shaun of the Dead“, Martin Freeman aus „Per Anhalter durch die Galaxis“. Von den beiden Frauen hatte ich nur Kate Ashfield irgendwo schon mal was gesehen. Wahrscheinlich als Gaststar in einer Comedy? Little Britain? Coupling? Der Name Mandy Candy sagte mir jedoch nichts. Bei den Engländern schien sie dafür umso mehr eine gewisse Bekanntheit zu genießen. In den Zeitungen, Magazinen und im Fernsehen wurde über jede Kleinigkeit um ihre Person berichtet. Unter anderem galt sie für viele als die britische Antwort auf Pamela Anderson. Der Vergleich zu dem amerikanischen Pendant bot sich allein optisch an. Sowohl Pamela Anderson als auch Mandy Candy teilten sich denselben BH-Hersteller. Nur wurde gemunkelt, dass bei Mandy Candy kein Schönheitschirurg Hand angelegt hatte. Angeblich. Alles nur PR? Oder steckte etwas viel Absurderes dahinter? Wie zum Beispiel, dass Mandy Candy in Wahrheit aus den tiefen Weiten des Weltalls zu uns auf die Erde gekommen war, um die (Film-)Welt zu erobern? Vielleicht konnte sie auf ihrem Planeten keine Karriere machen und dachte sich, bei uns hätte sie bessere Chancen?


    Aber genug mit den „Spoilers“. Kommen wir wieder zur eigentlichen Geschichte zurück.


    Ich kam im Apartment meiner Cousine unter. Weihnachten stand vor der Tür. Nur noch drei Tage bis Heiligabend, Geschenke auspacken, sich ordentlich den Bauch voll schlagen und sich zu Tode langweilen. Jedoch war meine Cousine alles andere als in Vorweihnachtsstimmung. Sie ist die persönliche Assistentin eines der einflussreichsten Filmproduzenten Englands. So kurz vor den Feiertagen bedachte man sie noch mal ordentlich mit einem Stapel Arbeit. Obendrein sollte sie im Namen ihres Chefs zusammen mit ihrem Lebensabschnittpartner auf der Premierenfeier von THE PROFESSOR erscheinen. Das Dumme war nur: Meine Cousine ist seit zwei Jahren Single. Ihr letzter Freund soll sich vor ihren Augen in hundert kleine Fett-Monster aufgelöst haben. Es geschah während ihres 3. Jahrestags. Sie hat sich bis heute nicht von dem Schock erholt.


    Also bat meine Cousine mich, sie auf dieser Veranstaltung zu begleiten. Sie meinte, ich würde dort auf bekannte Gesichter treffen, unter anderem die Stars der Show: Simon Pegg, Martin Freeman, Kate Ashfield und Mandy Candy. Weil ich an dem heutigen Abend sowieso nichts vorhatte, willigte ich ein. Hätte ich vorher geahnt, was alles auf mich zukommen würde, hätte ich mich wahrscheinlich anders entschieden. Ich bin nun mal nicht der Typ, der sich freiwillig irgendwelchen Problemen stellt – vor allem dann, wenn sie mich überhaupt nichts angehen. Doch das Schicksal schien zu dem Zeitpunkt einen Groll gegen mich zu hegen.


    Die Premierenfeier fand im Penthouse von Mr. Davies statt, dem Schöpfer der Show, die, wie ich später erfuhr, eine Science-Fiction-Serie war. Darin ging es um einen genialen Zeitreisenden, gespielt von Martin Freeman. Dieser versuchte die Erde vor einer außerirdischen Bedrohung zu beschützen. Zwei so genannte Companions standen ihm zur Seite: Einen Soldaten aus dem 25. Jahrhundert (Simon Pegg) und eine angehende Ärztin aus der Gegenwart (Kate Ashfield). Ergänzt wurde das Team durch die Enkelin des Zeitreisenden, Mandy Candy. Leider beschränkte sich Mandy Candys Rolle auf die des naiven Blondchens. Deren Hauptaufgabe bestand offenbar darin, ihren spektakulären Vorbau in Zaum zu halten, der insbesondere auf den männlichen Zuschauer eine hypnotische Wirkung ausübte. Nichts das ich irgendwas dagegen hätte. „Sex sells“. Aber man kann’s auch übertreiben.


    Neben den Stars, den Verantwortlichen der Show, den Produzenten und deren Begleitung waren noch eine Handvoll Journalisten auf der Feier zugegen. Die machten sich dran, vor allem den Hauptdarsteller, Martin Freeman, und Mandy Candy mit Fragen zu durchlöchern. Während Martin Freeman hauptsächlich über seine Arbeit als Schauspieler reden durfte, musste Mandy Candy das eine oder andere pikante Detail aus ihrem Privatleben plaudern. Ein weiterer Beweis dafür, dass man sie weniger wegen ihrer darstellerischen Leistungen angeheuert hatte.


    Kurz vor 7 Uhr ging’s los. Die gesamten Räumlichkeiten wurden abgedunkelt. Überall schalteten sich gleichzeitig die Plasma-Fernseher an. Mr. Davies, seines Zeichens exzentrischer Multimillionär um die 50, hatte in jedem Zimmer mindestens zwei in den Wänden einbauen lassen. Selbst die Küche, in dem sich das Catering-Personal aufhielt, blieb von seiner geradezu obsessiven Vorliebe für hochauflösende Bildschirme nicht verschont.


    Um Punkt 7 folgte der Vorspann zu THE PROFESSOR: Eine Art intergalaktischer Raum-Zeit-Tunnel, in dem eine Telefonzelle herumwirbelte. Eigentlich ganz schön witzig. Nur die Musikuntermalung sollten sie noch mal gründlich überarbeiten.


    Bedauerlicherweise konnte ich die Show nur bis zur ersten Werbeunterbrechung verfolgen. Denn als ich mich dazu durchrang, mich ein wenig am Büffettisch zu vergnügen, bemerkte ich ein bekanntes Gesicht unter den Anwesenden: Meine nette
    Bekanntschaft von heute Vormittag, der Doctor. Was für ein Zufall! Oder soll ich besser sagen: Was für ein Pech?!


    Ich zog es vor, ihm aus dem Weg zu gehen, aus Angst vor einer weiteren „produktiven Konversation“. Außerdem hatte meine Cousine mir verboten, mich mit einem der Gäste zu unterhalten. Mein schlechtes Englisch sei ihrer Meinung nach alles andere als salonfähig.


    Ich beobachtete den Doctor eine Weile. Dabei fiel mir das eine oder andere seltsame Verhalten von ihm auf. So schlich er sich vorsichtig an den Gästen heran und schaute ihnen über die Schulter. Sobald sie ihre Blicke auf ihn lenkten, entschuldigte er sich bei ihnen mit einem breiten Grinsen und zog sich zurück.


    Er machte den Eindruck, als suche er nach irgendwas. Doch was? Und wieso konzentrierte er sich hauptsächlich auf die weiblichen Gäste? Komischer Kauz. (Was es mit dieser Geheimnistuerei auf sich hatte, würde ich noch früh genug erfahren.)


    Schließlich kam er zu Mandy Candy, die bereits nach dem zweiten Champagnerglas etwas beschwipst war. Ich stand nur einen Meter von ihnen entfernt und konnte hören, wie er ihr eine überaus gewagte Frage stellte: „Excuse me, are they real?“


    Mandy Candy warf ihm einen irritierten Blick zu. „Pard’ me?“


    „Are they real? You know.“ Er zeigte auf ihr langes blondes Haar, das ihren Rücken hinunterlief. Man brauchte kein Experte zu sein, um zu erkennen, dass es sich dabei um Extensions handelte. Auch die Haarfarbe war nicht natürlich. Oder gibt es tatsächlich Menschen, die wasserstoffblond auf die Welt kommen?


    Mr. Davies, der sich zufällig in der Nähe aufhielt, gesellte sich zu ihnen und verlangte von dem Doctor zu wissen, ob es ein Problem gäbe.


    „No“, entgegnete der Doctor ihm und fügte in einem scherzhaften Tonfall hinzu. „I am just curious about the hair of the pretty young lady here.“


    In diesem Moment hatte der Doctor mich im Visier. Ich versuchte mich noch schnell zu verdrücken. Leider zu spät. „What a nice coincidence. Sammy, altes Haus!” Er kam auf mich zu, klopfte mir auf den Rücken und legte einen Arm um meine Schulter: „Was hat dich denn hierher verschlagen?“


    „Ich begleite nur meine Cousine.“


    „Und wie geht’s deiner Nase?“


    „Bestens“, entgegnete ich ihm. Ich hoffte inständig, dass er sehr bald das Interesse für mich verlor. Gott sei Dank wurden meine Gebete erhört.


    Der Doctor bemerkte den Teller, den ich in meiner Hand hielt. Ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen, nahm er sich die Freiheit, etwas von meinen Appetithäppchen zu stibitzen, die ich mir sorgfältig vom Büffet herausgesucht hatte. „War schön mit dir zu reden“, sagte er. „Leider muss ich jetzt wieder los. Die Pflicht ruft.“ Er setzte seinen Rundgang fort. Wenig später verschwand er in einen der anderen Räume.


    In meiner Erleichterung griff ich nach einem Glas Champagner, den ich in einem Zug leerte. Danach beschloss ich, noch mal rasch auf die Toilette zu gehen, bevor die Show wieder anfing. Dass meine schwache Blase mich eines Tages vor einer außerirdischen Gefahr beschützen würde, hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal zu träumen gewagt. Und doch war genau das eingetreten.


  • Also, ich finde die Geschichte bis hierhin gelungen. :)
    Gelungen deshalb, weil sie so aus dem Alltag heraus geschrieben ist, mit den sarkastischen Gedanken, die ein Mensch so am Tag haben kann.
    Aus der Ich-Sicht zu schreiben (ich nehm sogar mal an, dass du ein wenig von selbst genommen hast ^^) ist auch interessant, besonders,
    wenn die Person dann zum ersten Mal auf den Doctor stößt.
    Durch den Schreibstil, denkt man förmlich, der Ich-Charakter sitzt direkt neben einen und erzählt die Geschichte.


    Zitat

    "Simon Pegg, Martin Freeman, Kate Ashfield and Mandy Candy in THE PROFESSOR.
    Created by R. T. Davies. Don't Miss the Premiere of the Brand New Series on BBD One.
    Today at 7p.m."

    :thumbup: *rofl



    Wie gesagt, deine Geschichte besitzt Humor allemal :D
    Besonders die Begegnung mit dem Doc find ich toll. *ggg



    Mhm.. Kritik... momentan noch nicht so viel ... eigentlich so gut wie gar nichts..
    Deine Sätze werden hin und wieder ein wenig zu lang und statt den Klammern würde ein " - " vielleicht besser ausschauen, aber in Prinzip ist das ja dasselbe ;)
    Wie gesagt, nicht viel auszusetzen. ;)


    Bin mal gespannt, warum man denn den Fernseher besser ausgeschaltet lassen sollte *g

    T-A-R-D-I-S

    It stands for Tethered Aerial Release Developed In Style :D

  • KAPITEL 4



    Ich hatte Mühe, auf Anhieb die Toilette zu finden. Mr. Davies hatte sein Penthouse so konstruiert, dass es nahezu unmöglich war, den Durchblick zu behalten. Entweder zogen sich die Korridore labyrinthartig in die Länge oder sie liefen geradewegs auf eine Sackgasse zu. Für jemanden mit meinem Orientierungssinn könnten solche Umstände sich als äußerst verheerend auswirken. Eine falsche Entscheidung, und ehe ich mich versah, fand ich mich in Teufels Küche wieder. Im wahrsten Sinne des Wortes. Jedes Mal kam ich dorthin, wo ich eigentlich nicht hinwollte: Mr. Davies’ private Spielwiese, Mr. Davies’ Gewächshaus, Mr. Davies’ Swimmingpool, Mr. Davies’ geheimer Sado-Maso-Keller. Schließlich gelangte ich sogar zu Mr. Davies’ Schatzkammer, die mit mobilen Lasern und Kameras überwacht wurde. Doch die Toilette schien für mich bis auf weiteres unauffindbar. Das Merkwürdige war, dass überall Plasma-Fernseher in den Wänden eingebaut waren. Selbst dort, wo man sie am wenigsten erwarten würde, unter anderem in der Besenkammer, der Privatbücherei und in einer Art Museum, in dem er alte Teddybären hinter Panzerglas aufbewahrte. Daraus konnte man folgende 3 Mutmaßungen in Erwägung ziehen:


    1. Mr. Davies gehörte zu diesen High-Tech-Freaks, die sich immer den allerneusten Schnickschnack kaufen mussten
    2. Mr. Davies litt an einer Zwangsneurose
    3. Mr. Davies war der einsamste Mensch der Welt.


    Ich tippte auf Letzteres. Denn nirgendwo ließ sich auch ein einziger weiblicher Anstrich erkennen. Natürlich könnte man auch annehmen, dass sein weibliches (oder gleichgeschlechtliches?) Gegenüber dieselben Vorlieben teilte. Aber wer immer sie (bzw. er?) auch sein mochte, zugegeben, die Person hat sich da eine gute Partie an Land gezogen. Ob man dafür ein Hochschulabschluss braucht? Aus einem mir unerfindlichen Grund möchte ich das eher bezweifeln. Denn mit einem Diplom allein kommt man nicht weit. Man muss schon sehr viel Glück im Leben haben. Reiche Eltern. Oder so aussehen wie ein Supermodel.


    Ich kann nicht leugnen, dass ich Mr. Davies um seinen Reichtum beneide. Allein das eindrucksvolle Dekor, das viele unnötige Krimskrams, das hier und dort herumstand, entlockt aus mir einen Seufzer. Trotzdem hätte Mr. Davies die Gänge ruhig beschildern können. Damit hätte er zumindest mir die unerfreulichen Dinge erspart, die nicht für die Augen eines Außenstehenden bestimmt waren. Mein Unglück bekam eine weitere Dimension, als ich wieder einmal auf den Doctor stieß. Dabei ertappte ich ihn in einem höchst verdächtigen Moment. Ich erlaube mir hier den Terminus „verdächtig“ aus einem trefflichen Grund - nicht nur, weil er bei all unseren Begegnungen ein seltsames Verhalten an den Tag legte, sondern weil ich unfreiwillig Zeuge seiner kriminellen Energie wurde. Doch im Gegensatz zu dem „gewöhnlichen“ Kriminellen, der für seine Aktionen stets eine Handvoll Hilfsmittel mit sich herumschleppte, griff der Doctor einzig und allein auf ein Gerät zurück, das ich zuvor für einen hypermodernen Kugelschreiber gehalten hatte. Ein Knopfdruck reichte aus, schon setzte sich die Funktion des Doctors liebstes Allzweck-Werkzeug in Gang: Der, wie ich später efuhr, so genannte Sonic Screwdriver, eine Apparatur, mit dem sich jede verschlossene Tür öffnen lässt. Ob man damit auch den Verschlüsselungscode von Pay-TV-Sendern knackt? Versuchen kann man’s ja. Vorausgesetzt, ich bekomme dieses Gerät jemals in die Hände. Jedenfalls erfüllte der Sonic Screwdriver auch an jenem Abend seinen Zweck.


    Ich hielt mich derweil hinter der mannsgroßen griechischen Statue eines nackten Kriegers versteckt. Bei einer Körpergröße von 168cm eigentlich kein Problem. Von meinem Schlupfwinkel aus sah ich, wie der Doctor das elektrische Schloss einer Tür deaktivierte. Das Zimmer, das sich dahinter verbarg, war Mr. Davies’ Büro, spärlich eingerichtet mit dem Nötigsten: Einem Schreibtisch, einem Computer, einem Holzstuhl und einer Stehlampe. Dazu waren die Fenster mit schwarzen Vorhängen verhüllt. Als der Doctor in dem Zimmer verschwand, wagte ich, ihm hinterher zu schleichen. Vor der Schwelle machte ich jedoch Halt und versuchte durch den Türspalt einen vorsichtigen Blick zu erhaschen. Tatsächlich schien sich mein Verdacht zu bestätigen. Dank eines Zufalls (und meiner schwachen Blase) durfte ich einem Kriminellen bei seinem Broterwerb beobachten.


    Der Doctor setzte sich an den Schreibtisch. Dort machte er sich an dem Computer zu schaffen. Auch hier kam der Sonic Screwdriver zum Einsatz. Diesmal jedoch sah ich das Licht, das aus dem Gerät entströmte: Azurblau. Vielleicht auch Aquamarin.(Ehrlich gesagt, habe ich von Farben keine Ahnung.)


    Der Doctor öffnete verschiedene Dateien und ging sie alle in einem übermenschlichen Tempo durch. Für jede einzelne Datei brauchte er nicht mehr als eine Sekunde. Hier war eindeutig ein Profi am Werk!


    Ich beschloss, jemanden vom Sicherheitsdienst von meiner Entdeckung in Kenntnis zu setzen. Gut möglich, dass Mr. Davies mich dafür fürstlich entlohnen würde. Und wenn nicht, dann würden sich die Medien auf mich stürzen. Vor meinem geistigen Auge erschien bereits die Schlagzeile in der morgigen SUN: German Tourist Catches Master Thief!


    Doch als ich mich in Bewegung setzte, einen halben Schritt zurückging, geschah etwas, was meinen Traum vom Heldentum zunichte machen könnte: Der Doctor nahm meine Anwesenheit wahr. Wodurch ich mich verraten hatte, ist mir bis heute nicht klar. Vermutlich besitzt der Doctor einen 6. Sinn. Bei einem Mann mit einem solch gefährlichen Lebensstil wäre es eigentlich fatal, wenn er ihn nicht hätte.


    „Who’s there?“


    Ein kalter Schauer lief mir bei den Worten über den Rücken. Ich hielt mich hinter der Tür versteckt. Mein erster Gedanke war Flucht. Doch da fiel mein Blick auf die Vase, die nur eine Armlänge von mir entfernt, auf einer antiken Blumensäule stand. Zuerst dachte ich daran, dem Doctor mit der Säule aus weißen Marmor eins überzubraten. Leider stellte sich ein solches Vorhaben als äußerst schwierig – wenn nicht gar als reine Illusion heraus. Mit meiner bescheidenen körperlichen Befähigung hätte ich mir bei diesem massiven Ding höchstwahrscheinlich den Rücken verrenkt. Außerdem wollte ich den Doctor „nur“ außer Gefecht setzen. Von Umbringen war jedoch nicht die Rede. Also griff ich anstelle der Blumensäule nach der Vase.


    Genau in dem Moment, als der Doctor mit dem Kopf aus dem Türspalt lugte und ein vorsichtiges „Hello?“ aus seiner Kehle entfuhr, schlug ich zu. Die Vase ging auf seinem Kopf zu Bruch. Bedauerlicherweise führte mein beherztes Eingreifen nicht zum gewünschten Ergebnis. Statt bewusstlos auf den Boden zu sinken, fasste der Doctor sich mit schmerzverzerrter Miene an den Kopf.


    „Ouch!“, rief er.
    Ich wollte ihm mit einem „Sorry“ entgegenkommen. Allerdings schoß mir wieder unsere erste Begegnung durch den Kopf, der für mich nicht minder schmerzvoll war.


    „What was that for“, fragte der Doctor.


    Meine Antwort: „Das war für die blutige Nase.“


    Vielleicht wäre es jetzt angebracht, zu erwähnen, dass ich ziemlich nachtragend sein kann und eine latente sadistische Seite in mir trage. Sobald sich für mich die Chance ergibt, Rache an jemandem zu üben, endet das für die betroffene Person immer mit einer schmerzhaften Erfahrung. Der Doctor kann Ihnen darüber ein Lied singen. Denn kaum hatte er sich einigermaßen von meinem „missglückten“ Anschlag erholt, lehrte ich ihm, was es heißt, Essen von meinem Teller zu klauen: Ich trat ihn ins rechte Knie. „Und das war für die Garnele!“

  • Ich finde es bis hier ebenfalls höchst unterhaltsam *lach* Das ist so ein herrliches Wirrwarr.


    Es ist allerdings seltsam, daß er in Kapitel 4 die Toilette nicht findet, wenn er in Kapitel 3 schon weiß, daß es im Bad Plasmafernseher gibt.
    Und der Screwdriver ist in dem Satz als er vor dem Computer sitzt erst ein Kugelschreiber... das solltest du vielleicht korrigieren.


    Du springst ab und zu in den Zeiten etwas hin und her. Mal Gegenwart und im nächsten Teilsatz Vergangenheit.


    Aber ich finde ich es so prima und durchgeknallt genug, daß mich diese kleinen Fehler nicht wirklich stören und ich auf jeden Fall weiterlesen werde!

  • Danke für die Hinweise. Habe die Stellen inzwischen korrigiert. Freut mich übrigens, dass die Geschichte bei dir einigermaßen ankommt. Ab dem nächsten Kapitel werden die Hauptdarsteller aus der fiktiven Science-Fiction-Serie "The Professor" wichtige Rollen spielen. Vor allem für Simon Pegg (bekannt aus "Shaun of the Dead") wird es ganz schön brenzlig, wenn er und der Doctor sich erstmals begegnen.

  • Ich wollte eigentlich auch schon seit Laengerem was zu deiner Story schreiben ... *gg* okay, besser spaet als nie, oder?


    Ich finde das Ganze echt total amuesant une erfrischend. Durch deine ironisch-sarkastische Schreib- und Sichtweise des Hauptcharas rutscht es nicht gar so in den "Gary Stue"-Bereich ab, was mich normalerweise davon abhaelt, FFs mit OCs zu lesen. Ausserdem bin ich nomalerweise eher ein Gegener von Ich-Erzaehlungen, aber hier passt es einfach wunderbar. :D


    Interessant und sehr gut finde ich, wie du die Sprachbarrieren umschiffst, also tatsaechlich auch teilweise in englisch schreibst. Das macht das Ganze glaubhafter.


    Die kleinen Ungereimheiten, die Satia schon angesprochen hat, fallen da wirklich nicht weiter ins Gewicht.
    Auch die Tatsache, dass man mit 9,1 Promille wohl nicht mehr so lebendig sein wuerde, um andere tot zu fahren, kann man uebersehen. Aber wahrscheinlich war das eh gewollt ueberzogen, oder? *gg*


    Und eigentlich sollte Sammy die TARDIS am Anfang doch gar nicht wirklich sehen koennen, oder? Perception-Filter? ;)


    Aber egal, mich hast du auf jeden Fall als Leser gewonnen ... zumindest fuer den Moment, weil ich doch jetzt gerne wissen moechte, warum man an diesem Abend besser kein TV gucken sollte und wie der Doctor wohl auf Sammys Racheversuche reagiert .... :P

  • Und eigentlich sollte Sammy die TARDIS am Anfang doch gar nicht wirklich sehen koennen, oder? Perception-Filter? ;)


    Man kann in der Serie die TARDIS sehen.
    Es interessiert nur die Leute in der Regel nicht, ist halt nur eine blaue Telefonzelle. (Policebox)

  • Wie geil ist das dennn? Ich habe die letzte halbe Stunde sehr viel Spaß gehabt und mich köstlich über deine Anti-Stu amüsiert.


    Der Ich-Stil passt punktgenau und ist göttlich überzogen. Genau das will ich weiter lesen.


    Danke für das Vergnügen.

  • KAPITEL 5


    „Stop it, will ya!“, rief der Doctor auf einem Bein, während er mit beiden Händen das andere festhielt. Um zu verhindern, dass er nicht hinfiel, stützte er sich mit dem Rücken an der Tür ab.


    „You sure are a violent fellow“, fügte der Doctor leise hinzu.


    Eigentlich ist es gegen meine Natur, jemandem Gewalt anzutun. Nicht umsonst bezeichne ich mich als überzeugten Pazifisten- allerdings mit der einen oder anderen Einschränkung. Man braucht nur die richtigen Schalter zu drücken, schon vergesse ich alle meine guten Vorsätze, die mir eine Eintrittskarte in den Himmel garantieren sollen. Dummerweise war dem Doctor genau das gelungen.


    Es ist nicht so, dass ich etwas Persönliches gegen ihn habe. Aber manchmal kann er einem ganz schön auf den Keks gehen. Besonders seine schrullige Art und sein „Ich-weiß-alles-besser“-Getue. Mal ehrlich, wer hält diese Marotten auf die Dauer aus, ohne ihm gleich einen Kinnhaken verpassen zu wollen? Darüber hinaus hatte der Doctor etwas getan, worauf ich schon immer empfindlich reagiert habe, das schlimmste Sakrileg, das von mir stets hart gestraft wurde: Er hatte mit seinen bloßen Händen mein Essen angerührt! In solchen Fällen verstehe selbst ich keinen Spaß. Eigentlich sollte der Doctor froh sein, dass nur sein Knie meinen Rachegelüsten zum Opfer fiel. Es hätte noch viel, viel schlimmer kommen können. Zuhause habe ich übrigens ein Paar Cowboystiefel im Schuhschrank liegen – aus echtem Leder und steinharten Sohlen. Wenn ich sie zu dem Zeitpunkt angehabt hätte, hätte es mehr wehgetan - deutlich mehr.


    „Das nächste Mal fragen Sie mich, wenn Sie etwas von meinem Teller schnappen wollen“, riet ich dem Doctor. Dieser warf mir einen irritierten Blick zu. „Hast du denn nichts anderes zu tun, als mich zu verfolgen“, fragte er.


    „Glauben Sie mir, es liegt mir fern, Ihre Privatsphäre zu stören“, sagte ich. „Oder zuzusehen, wie Sie in die Privatsphäre anderer eindringen. Wie gerade eben.“


    „Willst du mir irgendwas unterstellen?“


    „Unterstellen? Finden Sie nicht, dass es offensichtlich ist?“ Ich deutete auf den elektrischen Türschloss hin, den der Doctor vor kurzem geknackt hatte. Der aber tat so, als wäre nichts gewesen. „Ja, und?“, das war alles, was er dazu zu sagen hatte.


    Obwohl ich meine Kommentare lieber für mich behalte, konnte ich mich der Worte, die sich in mir aufdrängten, nicht verkneifen. Der Docter bot sich geradezu an, dass ich meine berechtigten Zweifel offen vor ihm darlegte. „Tun Sie nur so, oder sind Sie blöd?“


    „Das ist nicht gerade die feine englische Art, mit jemandem eine Unterhaltung zu führen“, gab der Doctor zurück.


    „Schon vergessen? Ich komme aus Deutschland.“


    „Ach ja! Stimmt!“


    „Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden. Ich glaube, ich sollte jetzt zum Sicherheitsdienst gehen. Es wäre schön, wenn Sie sich in der Zwischenzeit nicht rühren würden.“


    „Habe ich irgendwas verbrochen?“


    Ich konnte nicht fassen, was er da von sich gab, und befürchtete, ihn mit meinem kleinen Attentat seine letzten gesunden Gehirnzellen zertrümmert zu haben - falls er überhaupt je so was besessen hatte. „Bleiben Sie einfach nur hier stehen,“ sagte ich und dachte nur noch daran, mich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen - weg von diesem Verrückten.


    „Einen Moment.“ Der Doctor wühlte in der Innentasche seines Sakkos und kramte seinen Reisepass hervor. Diesen hielt er mir vors Gesicht. „Inspektor der Urheberrechtsbehörde. Ich ermittle undercover wegen Verdachts auf Plagiarismus.“


    „Das ist ein leeres Blatt Papier.“


    Eine erstaunte Miene huschte über das Gesicht des Doctors. „Wirklich?“
    "Was soll es denn sonst sein?"


    Der Doctor hatte sich inzwischen von mir abgewandt und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das leere Blatt Papier. „Das Ding kann doch unmöglich kaputt sein“, flüsterte er.


    Das war die Chance! Solange der Doctor beschäftigt war, wollte ich rasch das Weite suchen. Ich war schon im Begriff, mich vorsichtig von ihm zu entfernen, als er plötzlich seinen Arm um meine Schulter legte. „Hier geblieben!“, rief er und hielt mir erneut das leere Blatt Papier vors Gesicht. „Bist du dir sicher, dass du nichts siehst?“


    „Außer ein leeres Blatt Papier?“ Jeder andere hätte an meiner Stelle mit Sicherheit gelogen. Und vielleicht hätte ich es auch getan. Leider war meine vorlautes Mundwerk diesmal schneller als mein Verstand.


    „Offenbar scheint es bei dir nicht zu funktionieren“, sagte der Doctor zu sich selbst. „Muss wohl kaputt sein. Na egal.“ Er drückte mich fest an sich... Mit seinem kräftigen stählernen Arm, der einem jungen Mann wie mir, von meiner bescheidenen Statur glatt die Luft herauspressen konnte. Das Gesicht ganz nah an meinem, sodass ich seinen Atem roch: Der fischige Geruch jener Garnele, den er mir von meinem Teller stibitzte, besetzt mit seinem Speichel, ein Sammelsurium unbekannter Bakterien. Vor seinen holzbraunen Augen. Dem kindlich wirkenden Blick, dem gleichzeitig eine unendliche Leere innewohnt.e Abertausend Leben, zusammengepfercht in einer Hülle, zu einer einzigen einsamen Seele verschmolzen, die sich nach einem Verwandten verzehrt… Wer jetzt etwas Schlüpfriges erwartet, den muss ich leider enttäuschen! Zur Erinnerung: Ich bin ein Mann. Allein stehend – und heterosexuell! Und auch wenn ich es nicht wäre, ich würde niemals – unter keinen Umständen – nicht einmal im Traum mit dem Doctor anbandeln. Schon bei der Vorstellung dreht sich bei mir der Magen um. Das soll aber nicht heißen, dass ich gegenüber meinen Mitmenschen, die einen „homogenen“ Lebensstil frönen, irgendwelche Antipathien empfinde. Ganz im Gegenteil: Ich toleriere ihre Gesinnung, wenngleich ich es eher vorziehe, mich von ihnen fernzuhalten.


    Doch bevor wir weiter abschweifen, kehren wir besser zu unserer eigentlichen Geschichte zurück: Ich versuchte dem Doctor mit schonenden Worten klar zu machen, dass ich seine Nähe als bedrückend empfand. „Es wäre schön, wenn Sie mich loslassen würden. Sonst muss ich schreien.“


    Ein besorgter Ausdruck malte sich auf sein Gesicht. „Ich tue dir doch nicht weh, oder?“, fragte er in einem Tonfall, dem etwas Väterliches mitschwang, und entließ mich aus seiner Umklammerung.


    Ich ging sofort einen halben Schritt zurück, um einer erneuten körperlichen „Konfrontation“ mit dem Doctor zu vermeiden. Als ich aber sah, dass ihm mein Wohlbefinden tatsächlich am Herzen lag, schaltete sich bei mir sofort das schlechte Gewissen ein. Normalerweise muss schon einiges passieren, bevor überhaupt eine solche Regung meinen Körper durchzuckt.e Aber irgendwie hatte der Doctor so etwas an sich: Eine Mischung aus Nervensäge, gepaart mit Besserwisserei - und Dackelaugen.


    Anfangs lag es nicht in meinem Interesse, den Doctor zu beruhigen. Ich wollte, dass er sich schuldig fühlte, sich endlich seines unmöglichen Verhaltens bewusst wurde. Dazu wollte ich mich an dieser irritierten Miene erfreuen, die einfach nur köstlich anzusehen war: Mr. Ich-weiß-alles-besser in Sorge, etwas falsch gemacht zu haben! Leider kam ausgerechnet in dem Moment nicht die erhoffte Genugtuung in mir auf - im Gegenteil: Ein Blick in seine Augen, schon hatte er einen empfindlichen Nerv getroffen. „Ehrlich gesagt, machen Sie mir Angst.“


    Der Doctor stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Ich dachte schon, es wäre was Ernstes.“ Ich weiß nicht wie, aber mit dieser Reaktion gelang es ihm, ein Lächeln auf meinen Lippen zu zaubern – bis ich mich auf die derzeitige Situation zurück besann - und auf die mögliche Belohnung! Ich wollte mich gerade in Bewegung setzen, als ich wieder den Arm des Doctors auf meiner Schulter spürte. Mein erster Gedanke war: „O Gott, nein!“


    „Sammy, Sammy, Sammy, Sammy“, sagte er. „Du musst unbedingt deine Einstellung ändern. Weiß du, deine Laune wäre tausendmal besser, wenn du nicht so verkrampfst wärst. Mach dich etwas locker.“


    „Ich bin im Moment zufrieden, danke“, entgegnete ich.


    Ich versuchte mich irgendwie von ihm loszureißen... keine Chance. Er war eindeutig der körperlich überlegende von uns beiden. „An deiner Stelle würde ich jetzt nicht zu den anderen gehen.“


    „Und warum?“


    „Nun…“


    (Anmerk.: Eigentlich sollte Kapitel 5 noch weitergehen. Wegen des Umfangs habe ich beschlossen, hier aufzuhören und Simon Pegg's Auftritt für Kapitel 6 aufzuheben.)

  • Einfach genial! :D (ich grins immer noch)
    Kann's kaum erwarten, wie es weitergeht. ;)

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  • KAPITEL 6



    Es gibt vieles, was ich nicht verstehe. Einsteins Relativitätstheorie ist nur eines von den Dingen, die sich meinem Horizont entziehen. In der Vergangenheit habe ich sooft versucht, mir diese „E=mc²“-Geschichte rein zu ziehen, mich etliche Male durch den Dschungel der Physik gekämpft und an den Papierkanten von zigtausend Nachschlagewerken blutig geschnitten. Nichts von alldem hat zu der gewünschten Erkenntnis geführt. Stattdessen wurde mir in dem Moment, in der ich mich mit meiner begrenzten Auffassungsgabe abfand, schlagartig klar, dass ich nicht das Zeug zum zweiten Einstein hatte. Selbst wenn ich mich jahrelang mit einer Handvoll renommierter Physiker in einem Raum einsperren würde ohne Fernseher, Internet-Anschluss oder Mobiltelefon - das Ergebnis wäre ein Massaker unvorstellbaren Ausmaßes unter den letzten grauen Zellen, die mir noch geblieben sind.


    Sicher werdet ihr jetzt fragen, was das alles mit unserer Geschichte zu tun hat. Eigentlich gar nichts. Ich wollte nur mal eben klar stellen, dass ich von wissenschaftlichen Dingen überhaupt keine Ahnung habe – vor allem, wenn es um Physik geht. Leider verstand der Doctor sich als Genie, der Einstein als Snack zum 5-Uhr-Tee servierte – oder um es mit den Worten einer liebenswerten Person auszudrücken, die ich vor kurzem kennen lernen durfte: Mr „I am clever than the rest of you“. Ob darin wirklich ein Fünkchen Wahrheit mitschwang oder zu dem Zeitpunkt sich doch mehr der Größenwahn durch die Windungen seines eindrucksvollen, durchtrainierten, aber absolut nervtötenden Sprechorgans drängte – eine Antwort auf meine Frage wird mir wohl immer versagt bleiben. Womöglich hängt es damit zusammenhängen, dass der Doctor die ganze Zeit mit Termini um sich schmiss, mit denen ich ohne die Hilfe eines Lexikons nichts anzufangen weiß. Eine von unzähligen Eigenschaften, die mich an ihm stören – neben seiner unverkennbaren Gabe, zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen.


    Jedenfalls versuchte der Doctor mir eine vollkommen durchgeknallte Geschichte anzudrehen. Irgendwas mit Manipulation über audiovisuelle Wellen, begünstigt durch einen Frontalangriff der Werbeindustrie und einer ausgeklügelten PR-Kampagne, die sich nur die hinterhältigsten Menschen der Erde ausdenken konnten: Die Fernseh-Produzenten. Rückblickend hätte alles mehr Sinn gemacht, wenn der Doctor a) die Sache mit den Aliens weggelassen und b) nicht so viele Fremdwörter benutzt hätte. Mal ehrlich, dieser Schnösel mit dem schlecht sitzenden Haar und dem grässlichen Cockney-Akzent kann doch nicht von jedem erwarten, dass er sein neunmalkluges Gefasel auf Anhieb kapiert. Immerhin sind nicht alle mit einem IQ von 110 gesegnet. Meiner einer versteht noch nicht einmal die Teletubbie-Sprache – sofern man dies überhaupt als Sprache bezeichnen kann oder doch vielmehr ein Sammelsurium wahlloser Vokallaute, mit dem die Schöpfer der Show einen Beitrag zur kollektiven Verdummung leisten wollen.


    Klar, dass mir nach einiger Zeit der Kragen platzte und in mir der Wunsch hochstieg, dem Doctor einen Kinnhaken zu verpassen oder ihn mit einem kräftigen Tritt in den A… in die unendlichen Weiten des Weltalls zu befördern – nur damit er endlich die Klappe hielt. In den zehn Sekunden, in denen der Doctor damit zubrachte, mir seine wahnwitzige Verschwörungstheorie vor den Kopf zu werfen, zeichneten sich vor meinem geistigen Auge Szenarien ab, wie ich ihm eine neue Dimension von Schmerzen bescherte, meiner dunklen Seite freien Lauf ließ und nachprüfte, ob er dieselben empfindlichen Stellen besaß wie der männliche Teil der Erdbevölkerung. Ich bin mir sicher, dass es da draußen Leute gibt, die alles dafür tun würden, um das Geheimnis seiner Anatomie zu lüften. Ich für meinen Teil bin nicht gerade scharf darauf. Schließlich gibt es wichtigere Fragen zu klären – wie zum Beispiel, was man gegen die globale Erwärmung tun könne, welche Hose man am nächsten Tag anziehen sollte oder was die Drehbuchautoren der alten Enterprise-Serie sich bei der 44. Episode „The Trouble With Tribbles“ gedacht hatten? Also echt, die Welt ist schon verkorkst genug. Auf jemanden wie den Doctor, der alles nur noch komplizierter macht, können wir eigentlich verzichten.


    Gott sei Dank konnte ich mich noch einigermaßen beherrschen und der Nervensäge eine weitere Reise in das Haus der Demütigungen ersparen. Um sicherzugehen, dass ich es mir doch nicht anders überlegte und um ihn mir endlich vom Hals zu schaffen, kehrte ich zur Veranstaltung zurück, wo ich hoffte, jemandem vom Sicherheitsdienst zu begegnen. Bedauerlicherweise ließ der Doctor sich nicht so leicht abwimmeln: Er hängte sich mir an die Fersen. Aber das war nur das kleinere Übel. Schlimmer war sein loses Mundwerk, mit dem er mein lädiertes Nervenköstum weiter unter Beschuss nahm. Kein Wunder, dass er solo ist.


    „Entschuldige, wenn ich dir damit zu nahe trete“, warf der Doctor plötzlich ein, die Hände in den Hosentaschen und das Gesicht zu einer nachdenklichen Miene verzogen. „Aber kann es sein – und ich möchte schwer hoffen, dass ich daneben liege – dass zwischen dir und mir, nun, ein paar Differenzen die Kommunikation erschweren?“


    „Wie kommen Sie darauf“, fragte ich.
    „Oh, da liegt Sarkasmus in der Luft“, sprach der Doctor mit einem heiteren Lächeln. „Genau das liebe ich an den Menschen. Sind immer zur Scherzen aufgelegt – auch wenn die Umstände dafür nicht gerade berauschend sind… Besonders jetzt nicht.“


    Was genau er damit meinte, wurde mir erst in dem Moment klar, als ich wieder die Party betrat – oder zumindest das, was davon übrig war: Statt die Korken knallen zu lassen, beschwipste, altjüngferliche Frauen abzuschleppen und vor einem Haufen Journalisten für eine kleine Spalte in der Klatsch-Rubrik sich der Lächerlichkeit auszusetzen, sah ich der größten Gefahr entgegen, mit der die Menschheit je konfrontiert war – nach der Beinahe-Katastrophe in diesem Sommer, als eine Horde fliegender Ölsardinen an den Rand der „Extermination“ brachten, während ich meinen Rausch von der letzten Nacht ausschlief und von dem ganzen Tohuwabohu nichts mitbekam. Jedenfalls: Alle Gäste in dem Raum starrten wie gebannt auf die Plasma-Fernseher an. Eigentlich nichts Besonderes. Das Komische war, dass sie sich nicht von der Stelle rührten und aussahen wie… Zombies – nur mit ein bisschen mehr Farbe im Gesicht, was aber nicht viel über ihre Lebendigkeit aussagte, zumal die meisten in dem Raum den Eindruck erweckten, als hätte sie sich eine Überdosis Botox zugezogen. Sogar ein Teil von den männlichen Gästen schien diesem Trend zu folgen. Wann begreifen die Leute endlich, dass es keine Schande ist, in Würde zu altern? Der Körper verändert sich nun mal. Und wenn sich die ersten grauen Haare zeigen, dann sollte man es hinnehmen, und nicht ständig versuchen, seinem eigenen Zerfall entgegenzuwirken. Sonst wird irgendwann der Tag kommen, an denen wir beim Schönheitschirurgen anstelle einer neuen Nase uns gleich einen neuen Körper zulegen. Eine perverse Zukunftsvision.


    Ich sehe, dass wir wieder einmal von der Geschichte abschweifen. Ich sollte endlich lernen, meinen Sarkasmus in Zaum zu halten. Sonst kommen wir nie voran. Außerdem bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Es sind nämlich nur noch drei Minuten bis zur endgültigen Vernichtung der menschlichen Zivilisation.


    „Was zum Teufel ist hier los“, waren die einzigen Worte, die aus mir herauskamen. Ich hatte das Gefühl, als hätte man mich direkt von der realen Welt in eine drittklassige Science-Fiction-Serie aus den Sechzigern katapultiert. Vor mir stand eine Horde Menschen, die mit weit aufgerissenen Augen und einem breiten Joker-Grinsen vor der Glotze klebten. Tausend Gedanken schossen mir angesichts dessen durch den Kopf – um ehrlich zu sein, war das nur ein einziger. Leider ist er nicht für junge Ohren bestimmt, schon gar nicht für diejenigen, die nicht wissen, dass es sich bei dem Weihnachtsmann um eine Erfindung von Coca Cola handelt. Damit die Moralaposteln nicht gleich auf die Barrikaden gehen, mögen mich die Damen und Herren verzeihen, dass ich es vorziehe, diesen Gedanken nicht in Worte zu fassen.


    „Hast du überhaupt zugehört, was ich dir gesagt habe“, fragte der Doctor. Der schien sich von dem grotesken Bild, der sich vor uns offenbarte, wenig bis gar nicht beeindrucken zu lassen. So, als wäre alles für ihn normal, stolzierte er an den paralysierten Gästen entlang und stibitzte sich hier und da einige Appetithäppchen von den Tellern. Natürlich hatte er wieder mal diesen besserwisserischen Ausdruck auf dem Gesicht.


    „Nein, habe ich nicht. Und wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, hätten Sie es auch nicht getan.“
    „Willst du, dass ich es dir noch mal erkläre?“
    „Bitte die Kurzfassung.“
    “Die Kurzfassung: Extraterrestrische Invasoren. Neue TV-Serie. Werbetrommeln. Bekannte Schauspieler. Hübsche Newcomerin. Ca. 13 Millionen Zuschauer. Gehirnwäsche. Ca. 13 Millionen PC-Besitzer mit Internetanschluss. Verbreitung im Netz. Millionen Menschen, die sich THE PROFESSOR herunterladen und mit Freunden und Familien anschauen. Noch mehr Gehirnwäsche. Invasoren. Weltherrschaft.“
    „Okay, die Langfassung. Nur vermeiden Sie diesen ganzen Wissenschaftskram.“
    „Bist du dir auch wirklich sicher, dass zwischen uns beiden die Kommunikation in Ordnung ist? Irgendwie habe ich das Gefühl, als ob wir uns nicht auf der gleichen Wellenlänge befinden“
    „Das kommt wohl daher, dass Sie und ich eine vollkommen andere Sprache sprechen – und Sie mich ganz schön nerven.“
    „Wirklich?“ Der Doctor warf mir einen überraschten Blick zu. Daraus schloss ich, dass niemand vor mir sich getraut hatte, ihm ordentlich die Meinung zu geigen. Mir war klar, dass ich ihn mit meinen nächsten Äußerungen womöglich verletzen würde, doch irgendjemand musste den Anfang machen und ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen.


    „Sie sind nicht gerade der angenehmste Zeitgenosse“, sagte ich. Eigentlich wollte ich mich viel schnippischer ausdrücken. Aus irgendeinem Grund brachte ich es doch nicht übers Herz. Allein dieser Dackelblick, den der Doctor immer in solchen Situationen aufsetzte. „Haben Sie sich schon mal selbst zugehört?“


    „Nun, ich schlage mich schon eine ganze Weile mit mir selbst herum und bis jetzt konnte ich nichts gegen meine eigene Gesellschaft aussetzen… obwohl ich zugeben muss, dass ich etwas zu viel rede. Manchmal sogar, wenn niemand da ist. Ich gebe Dinge von mir, die kaum oder gar keinen Sinn ergeben und mich selbst verwirren. Irgend so ein Zeug. Ab und zu sind es nicht mal richtige Worte, sondern reines Kauderwelsch – Verdammt, ich bin tatsächlich eine Nervensäge.“ Der Ausdruck, der sich in sein Gesicht malte, der Augenblick der grausigen Erkenntnis. Hätte ich meine Digitalkamera dabei gehabt, hätte ich glatt ein Foto davon geschossen und es eingerahmt. „Ich fragte mich die ganze Zeit, warum die Menschen nie lange bei mir aushalten", fuhr der Doctor fort. „Ich habe immer geglaubt, dass es damit zusammenhing, dass ich das Unglück magisch anziehe. In Wirklichkeit habe ich sie genervt.“


    Bei aller Schadenfreude, die ich viel länger ausgekostet hätte, blieb unsere Lage weiterhin dieselbe. „Können wir vielleicht wieder auf die Sache zu sprechen kommen“, fragte ich den Doctor.
    „Welche Sache?“
    „Na, wonach sieht es hier wohl aus?“
    „Ach ja. Also extraterrestrische Invasoren…“
    „Verschieben wir die Erklärung auf ein andermal. Sagen Sie mir einfach, was Sie dagegen tun wollen.“
    „Nun… Keine Ahnung.“
    „Wie darf ich das verstehen?“
    „Dass ich keine Ahnung habe. Solange ich nicht genau weiß, mit was oder mit wem wir es hier zu tun haben, kann ich nichts unternehmen.“
    „Und was haben Sie bisher herausfinden können?“
    „Eigentlich so gut wie gar nichts. Außer, dass Mr. Davies irgendwie in dieser Sache verwickelt ist.“
    „Ist doch klar. Von ihm stammt ja die Idee zur Serie.“
    „Da muss ich leider Einspruch erheben. Mr. Davies ist vielleicht derjenige, der THE PROFESSOR produziert hat. Aber ein anderer war der Ideengeber.“
    „Und wer ist es?“
    „Das versuche ich ja die ganze Zeit herauszufinden. Was meinst du, warum ich in sein Büro eingebrochen bin? Übrigens, wo wir gerade von Mr. Davies reden, wo ist er überhaupt?“


    Tatsächlich war weit und breit nichts von ihm zu sehen. Jedoch war er nicht der einzige, der durch seine Abwesenheit glänzte. Auch die Hauptdarsteller von THE PROFESSOR waren verschwunden. Zufall?


    „Sie können nicht sehr weit sein“, meinte der Doctor. Übersetzt heißt es so viel wie: „Lasst uns gemeinsam auf die Suche begeben.“ Ich schloss mich dem Doctor mehr oder weniger freiwillig an. Ganz allein bei den „zombinierten“ Gästen zu bleiben, war mir doch zu unheimlich. Außerdem ist es in fast jedem Horrorfilm so, dass die Leute, die sich aus der Reichweite des „Helden“ entfernen, immer als erste ins Grass beißen. Also blieb ich an der Seite des Doctors, damit ihm nichts zustieß.


    Überall fanden wir Menschen vor, die unter dem Einfluss der brandneuen BBD-Serie standen: THE PROFESSOR, der Straßenfeger des Jahres. Eine neue Form der kollektiven Volksverdummung. In den Hauptrollen: Martin Freemann, Kate Ashfield, Simon Pegg und Mandy Candy. Schließlich entdeckten wir ein Zimmer, das wir als WC identifizierten. Zuerst dachte ich, mich endlich erleichtern zu dürfen. Meine Vorfreude wurde getrübt, als ich merkte, dass die Toilette bereits besetzt war. Der Doctor versuchte, sich durch lautes Klopfen die Aufmerksamkeit jener Person zu wecken. „Is somebody there?“


    Die Tür öffnete sich. Simon Pegg trat vor uns – sichtlich angeschlagen von den Champagner-Gläsern, die er sich im Minutentakt gegönnt hatte, und von anderen alkoholischen Getränken, die er literweise in sich hineinkippte. Aus den leicht unverständlichen Satzfragmenten, die ihm über die Lippen kamen, entnahm ich, dass einer seiner Schauspiel-Kollegen viel zu tief ins Glas geguckt hätte und die Garnellen nicht richtig vertrug. Ich schaute Mr. Pegg über die Schulter und sah, wie Martin Freeman in die Toilette reiherte. An seiner Seite: Kate Ashfield und Mandy Candy.


    „You remind me of one guy I know”, sagte Mr. Pegg. „What was his name? Daniel.. David.“
    „I'm John Smith“, entgegnete der Doctor und hielt ihm seinen Reisepass mit dem leeren Blatt Papier vor die Nase. „London Post.“
    „John Smith?“ Kaum hatte Mr. Pegg den Namen ausgesprochen, schlug er dem Doctor mit der Faust ins Gesicht.

  • Und es bleibt weiterhin klasse! :thumbup:
    Ich könnte die sarkastischen Erzählungen von Sammy stundelang lesen, ohne das es langweilig wird. Echt toll!;)


    Warum es wohl gleich zum Faustschlag kam? Dachte er der Doc wär wieder einer von den nervigen Paparazzos die sogar zur Toilette vordringen? :P
    ...bin mal gespannt, wie's weitergeht...
    Weiter so!

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  • KAPITEL 7



    Simon Pegg blieb mir bis dato vor allem durch seine Hauptrolle in „Shaun of the Dead“ in Erinnerung, jene Zombie-/ Coming of Age-/ Buddy Movie-Persiflage, die ihm vor einigen Jahren den internationalen Durchbruch bescherte. Danach hatte er in weiteren Komödien mitgewirkt, in denen er das eine oder andere Mal sein schauspielerisches Können unter Beweise stellte: Als vom Schicksal gebeutelten Mittdreißiger, dem die Liebe und andere Grausamkeiten zu schaffen macht, oder als überkorrekter Polizist, der in weniger als zwei Stunden mehr Munition verschießt als Sly Stallone in allen 4 „Rambo“-Teilen. Zu meinem Bedauern konnte keines dieser Nachfolge-Filme einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. „Hot Fuzz“, „Run, Fat Boy, Run“, „How to Lose Friends & Alienate People” – das sind alles Titel, die schon viel über die Qualität aussagen: Schnell zusammengemischte Unterhaltungsware, auf die wir sehr gut verzichten können.

    Normalerweise halte ich grundsätzlich nicht viel von Komödianten – erst recht nicht, wenn sie bisher nur einen einzigen Hit aufweisen können und für dieselbe Lach-Nummer einen Batzen Kohle kassieren. Bei Simon Pegg könnte ich vielleicht eine Ausnahme machen – trotz seines astronomischen Gehaltschecks, den er für jede Folge in THE PROFESSOR einstrich. Den entscheidenden Anstoß für meine Überlegung lieferte mir seine schlagfertige Darbietung gegenüber dem Doctor - sein kräftiger Fausthieb, der mich in diesem Moment eines lehrte: Vorsicht vor rothaarigen Briten, wenn sie erst einmal einen über den Durst getrunken haben!

    „What was that for“, fragte der Doctor und fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die rechte Wange.

    Obwohl ich anfangs ernsthafte Zweifel hatte, dass unser verehrter Mr. Pegg in seinem alkoholgetränkten Gemütszustand irgendetwas Verständliches aus sich hervorbrachte, verblüffte mich dieser Brite aufs Neue: Soweit ich sein Gelalle richtig verstand, machte er John Smith (aka der Doctor) für einen wenig schmeichelhaft geschriebenen Enthüllungsbericht verantwortlich, der sich äußerst kontraproduktiv auf seine Karriere niederschlug - schlimmer noch: Er kostete ihm eine lukrative Rolle im nächsten Harry-Potter-Streifen.
    „It’s your fault that I’m in this fu..ing show”, gab Mr. Pegg von sich. Seiner Beschuldigung folgte eine Schimpftirade, die ich dem geneigten Publikum lieber ersparen möchte. Man will ja schließlich ein gewisses Niveau bewahren.

    „No, Simon“, rief Miss Ashfield. „The guy who wrote the article was John Schmidt.”
    „Really?”
    „She’s right”, sagte Mr. Freeman. „His name’s Schmidt.” Das waren die letzten Worte, die ihm noch über die Lippen kamen, bevor ihm sein Mageninhalt in der Toilettenschüssel entglitt.

    Mr. Pegg entschuldigte sich bei dem Doctor. Jedenfalls vermutete ich, dass er es tat. Im angetrunkenen Zustand hörte er sich an wie Johnny Depp in „Fluch der Karibik“. Auch die Bewegungen, die er mit seinen Händen anstellte, ähnelten die des Jack Sparrows, der vom Pech und Untoten verfolgten Piraten-König mit fragwürdiger Sexualität. „Sorry, mate.
    It was all a… big, big, big, big misunderstanding. You know… if you haven’t noticed it yet… I’m totally - totally drunk.“
    „Yes, I can see that.“

    Trotz der schmerzhaften Konfrontation, deren Nachwirkungen man ihm deutlich ansah, rappelte der Doctor sich wieder auf. Ein anderer hätte sich bei dem Verantwortlichen revanchiert oder zumindest eine entsprechende Geste ausgeführt, die aussagt: „Das nächste Mal haue ich dir eine rein!“. Der Doctor aber tat nichts dergleichen. Stattdessen bewies er enormem Rückgrat – und einen eigenartigen Humor.

    „Don’t worry.
    It’s not the worst thing I’ve experienced – but one of the most painful. It was a hell of a punch you hit me with.”
    „Well, I did some work out… for the last two months.“
    „I could feel that. You nearly blew me away. For a moment I was hearing the Music of the Spheres… It was quite awful.”

    Fast wollte ich dem Doctor für diese angenehme Seite, seine Ausgelassenheit und Kommunikationsfreude – auch wenn die Sachen, die er sagte, meistens wenig Sinn ergaben - mehr Sympathien einräumen, wären da nur nicht die anderen Dinge, die meinen Eindruck über ihn immer wieder in ein negatives Licht rückten. Doch eins ist sicher: Der Doctor konnte einiges zurückstecken. Die Macht der Gewohnheit? Mich würde es nicht wundern, wenn ihm schon öfters solche Dinge passiert wären. Auf alle Fälle hätte ein Faustschlag wie die von Mr. Pegg mich ins Reich der Träume befördert – oder sonst wohin. Was für ein Glück, dass ich nicht in seinen Schuhen stecke. Bei all den abenteuerlichen Situationen, in die er hineinschlittert, ist er wirklich nicht zu beneiden. Mein Ratschlag: Er sollte seine Vorangehensweise einer gründlichen Überarbeitung unterziehen, zum Beispiel Sicherheitsabstand zu betrunkenen Leuten bewahren oder sich ein neues Pseudonym zulegen. Warum überhaupt diese Geheimnistuerei um seinen Namen?

    „Did we met before?”, fragte Mr. Pegg den Doctor.
    „So far as I recall, it’s our first time – and I’ve a very good memory.“
    „You don’t happen to be an actor?“
    „Nope, but I did some stage work many, many years ago.”
    „You remind me of someone.”

    „Oh, I know”, warf die beschwipste Mandy Candy ein. „ He looks like the guy who tried out for the role of The Professor. The cute Scotsman.”
    „You mean David?”, fragte Miss Ashfield.
    „Yes, that was his name! He was such a nice guy – and so talented.”
    „Like all the other men who tried out for the role.”
    „I’m still here, you know”, entfuhr es aus Mr. Freeman, dem, wie wir alle wissen, die Titelrolle in THE PROFESSOR zugesprochen bekam.

    „Anyway”, meinte Mr. Pegg und wandte sich wieder dem Doctor zu.
    „You bear an uncanny resemblance to him. Very, very uncanny.”
    Dieser verzog eine irritierte Miene. „David who?“

    „The most sexiest man in the world”, rief Mandy Candy.
    „Well, he quite was charming”, pflichtete Miss Ashfield ihr bei. „But he didn’t really fit in the role.”
    „Are you serious? David was fantastic during his audition. He would have been the perfect Professor.”
    „Oh, look!”, unterbrach Mr. Freeman. „I’m made out of thin air!”
    „Don’t be silly, Marty”, sagte Mandy Candy und gab ihm einen leichten Klaps auf die Schulter. „Of course, you’ll always be my No. 1 Professor. At least for the next 12 episodes.“
    „He’s got a two-years-contract, you know”, fiel Miss Ashfield ihr ins Wort.
    „You never know.”

    „For crying out loud. Would you please stop talking as if I’m not here?”
    Mr. Freeman hatte es wirklich nicht leicht. Zuerst diese fiese Lebensmittelvergiftung, ausgelöst durch eine schlecht gewordene Garnele, und dann auch noch zwei tratschende Weiber, die im angetrunkenen Zustand kein Blatt vor den Mund nahmen. Das eine Übel würde ihm noch eine Woche lang um den Schlaf bringen. Mit viel Glück ist man schon in 3 Tagen wieder fit. Was das andere Übel anging, die beiden Damen, darunter würde er noch bis zum Ende seines Engagement zu leiden haben. Angesichts dessen blieb mir nichts anderes übrig, als dem armen Mr. Freeman eine baldige Genesung und ein eisernes Nervenkostüm zu wünschen. Vor allem letzteres konnte er sehr gut gebrauchen. Denn Mandy Candy zeigte keinerlei Berührungsängste. Im Gegenteil! Mit einer außerordentlichen Offenherzigkeit – angefangen damit, dass sie tatsächlich keinen BH unter ihrem hautengen Abendkleid trug – schien sie sich regelrecht nach menschlichem Körperkontakt zu verzehren. Das neueste Opfer ihrer beherzten Umarmung: Martin Freeman, bekannt aus der leider misslungenen Verfilmung von „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“. Als ob er nicht schon genug gestraft war, nahm sie ihn sich zur Brust. „I’m so sorry, Marty.“, sagte sie und streichelte ihm sanft übers Haar. „You want me to give you a nice hug?“

    Jeder allein stehende und heterosexuelle Mann hätte sich an Mr. Freeman’s Stelle im 7. Himmel wiedergefunden. Doch bei genauerem Hinsehen wurde einem richtig angst und bange zumute: Mr. Freeman machte den Eindruck, als stünde er kurz vor dem Ersticken. Er lief schon rot an – wenigstens bekam er wieder Farbe ins Gesicht.
    „I can’t breathe…“, stöhnte er.

    „You’re killing him!”, rief Miss Ashfield.
    „It’s love”, entgegnete Mandy Candy. „I have so much love to give!”

    Mein Mitgefühl für Mr. Freeman dauerte solange an, bis mir wieder einfiel, dass ich mich gerne auf der Toilette erleichtern wollte. Aber sollte ich mich wirklich dazu anmaßen, solche Berühmtheiten bei ihrem kleinen Techtelmechtel zu stören? Sie höflich darum bitten, mal kurz den Raum zu verlassen, damit ich ihn selbst benutzen konnte? Und wenn ich es täte, würden sie meine Bitte bei meiner miesen englischen Aussprache überhaupt verstehen?

    „By the way, did you see Mr. Davies“, fragte der Doctor Mr. Pegg.
    „Just a while ago.”
    „Where?”
    „At the party”, antwortete Mr. Pegg. Leider konnte er dem Doctor keinen Hinweis auf seinen derzeitigen Verbleib geben. Mr. Pegg und seine Kollegen hatten so etwa zur selben Zeit wie ich die Party verlassen und sich wegen Mr. Freeman’s nervösem Magen in die Toilette verzogen. Dass sie sich dadurch vor der „extraterrestrischen Zombienierung“ bewahrt hatten, wussten sie nicht.

    Nichtsdestotrotz bedankte der Doctor sich bei Mr. Pegg und riet ihnen, nicht den Raum zu verlassen. Über die Gründe schwieg er jedoch. In dem Zustand, in dem sie sich befanden, hätten sie es sowieso nicht kapiert.
    Der Doctor ging. Ich nahm derweil all meinen Mut zusammen und betete, dass alles glatt lief. Leider, wie so oft in meinem Leben, wurden alle meine Hoffnungen mit einem Schlag zunichte gemacht – oder sollte ich besser sagen: in den Abfluss hinuntergespült? Kaum hatte ich die ersten Worte herausgebracht („Excuse me, do you mind if I…“), musste Mr. Freeman genau in diesem Moment sich erneut seines Mageninhalts entledigen.

    „Did you have sausages for lunch?“, fragte Mandy Candy nach einem kurzen Blick in die Kloschüssel.
    „This was my breakfast“, antwortete Mr. Freeman. „And here comes my dessert from yesterday.”

    Mir wurde klar, dass sein „kulinarisches Tohuwabohu“ sich noch eine Weile hinziehen würde. Also entschuldigte ich mich bei den Herrschaften mit einem kleinlauten „Nevermind“ und heftete mich wieder an den Doctor.
    Ob es eine gute Idee war, diesem seltsamen Kauz zu folgen? Ein Teil der geneigten Leser mögen es sicher bezweifeln. Und vielleicht gibt es welche unter ihnen, die anfangen, meine Intelligenz in Frage zu stellen. Diese sollten jedoch bedenken, dass ich mich in einer völlig untypischen Extrem-Situation befand und nicht die leiseste Ahnung hatte, wie ich damit fertig werden würde. Der Doctor schien sich einigermaßen auszukennen. Jedenfalls behielt er die ganze Zeit die Ruhe. Dass ich ein Buch nicht immer an seinem Umschlag messen sollte, begriff ich erst, als es schon zu spät war.

    Selbst er, der Doctor, hatte seine Bedenken. Er fragte mich, ob ich bereit war, die Grenzen meines Horizonts zu überschreiten und eine Welt kennen zu lernen, die nur die wenigen erleben dürften. Meine Antwort: „Nein, überhaupt nicht.“

    „Willst du nicht lieber zu den anderen zurückkehren? Es könnte sehr gefährlich werden.“
    „Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich laufe drei Mal die Woche mindestens eine halbe Stunde. Wenn es brenzlig wird, suche ich sofort das Weite. Wundern Sie sich aber nicht, wenn ich Sie zurücklasse.“
    „Du würdest mich im Stich lassen?“
    „Auf jeden Fall.“
    „Kennst du den Spruch: Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt?“
    „Klar, das ist ein Zitat aus SCHINDLERS LISTE. Nicht gerade einer meiner Liebesfilme.“
    „Du hast wirklich noch viel zu lernen, Sammy.“

    Wir gingen den Flur hinunter, der sich als Irrgarten erwies. Fast kam es mir so vor, als würden wir uns im Kreis drehen.
    Dazu diese seltsame Stille. Belämmertes Schweigen.
    Plötzlich ein Laut - eine Stimme.

    „Who’s there?!“, rief der Doctor. Keine Antwort.
    Wir gingen weiter. Bis zur nächsten Abzweigung. Dann nach links. Vorsichtig. Der Doctor an vorderster Front. Ich dicht hinter ihm. Zum Glück war er ein Kopf größer als ich. Falls irgendwas passierte, würde er es abbekommen.
    Wieder diese Stimme. Diesmal lauter. „Oh, come on!”

    Ein hoch gewachsener Mann in feinem Zwirn: Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Braunes Haar. Breite Koteletten. Hellblaue Augen. Ein bisschen griesgrämig der Blick. Markant: Die heruntergezogenen Mundwinkel. In seiner Hand: Ein Mobiltelefon, das allerneuste Model – mit Touchscreen.

    Der Doctor versuchte mit einem „Hello?“ die Aufmerksamkeit des Mannes auf uns zu lenken. Hätte er mich vorher darüber in Kenntnis gesetzt und mir eventuell ein klitzekleines Mitspracherecht zugesprochen, meine Antwort hätte gelautet: „Tun Sie das bloß nicht!“ Aber mich fragt ja niemand nach meiner Meinung. Ich bin ja nur ich: Irgendein Hochschulabsolvent aus Deutschland.


    Der Mann wandte sich zu uns um. „Yes?“
    „Did something happen?“, fragte der Doctor, die Hände in den Hosentaschen versteckt.
    „No”, sagte der Mann. „Just my cell phone. Low battery.“
    Ein nachdenklicher Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Mannes, als wir uns ihm näherten. „David?“
    „Pard’me?”


    „I’m sorry”, entschuldigte sich der Mann. „You look like a friend of mine.”
    „You’re not the only one who has mistaken me for someone else.”


    Ich fragte mich, wer dieser David war. Verband ihn und den Doctor wirklich eine derart frappierende Ähnlichkeit? Hoffentlich teilte er mit ihm nicht auch noch denselben Charakter. Ein Doctor war schon schlimm genug. Für einen zweiten gäbe es keinen Platz in diesem Universum – geschweige denn in dieser Dimension. Wer weiß, was die beiden alles angestellt hätten?


    „Are you one of the guests?”, fragte der Doctor den Mann.
    „You don’t know me?”
    „You do remind me of someone.“
    „Let me help you out a bit: STATE OF PLAY?”
    Der Doctor legte eine verwirrte Miene auf.


    Mann: „BLACKPOOL?”
    Doctor: „You mean the town in Lancashire?”


    Mann: „ CAPTAIN CORELLI'S MANDOLIN?”
    Doctor: „Never heard of it.“


    Mann: „BASIC INSTICT 2?“
    Doctor: „Nope.“


    Mann: „David Morrissey?”
    Doctor: „Is this a movie?”


    „No, it’s my name, you fool”, sagte der Mann etwas angesäuert. „I’m David Morrissey - the actor and director.”
    „Oh, I’m so, so sorry.”
    „You don’t have to be.”
    „I’m the Doctor.”
    „Doctor who?”
    „Simply the Doctor…”

  • Cool, es geht wieder weiter! :)
    Witzig wie immer und einfach toll.
    Die Situation auf der Toilette war ja äußerst... appetitlich... *g
    Und dann das Treffen mit David Morrissey.. genial. :D


    Immer weiter so!

    T-A-R-D-I-S

    It stands for Tethered Aerial Release Developed In Style :D

  • :D :D :D


    Herrlich!


    Die Anspielungen auf die Serie, das Toilettegespräch... Hab immer noch tränen in den Augen.

    The future is strange thing, because everytime you look at it, it changes, because you looked at it. (NEXT)


    What's the point in being grown-up, if you can't be childish? (4. Doctor)