Kritischer Simpsons-Artikel

  • Ich weiß auf Anhieb nicht, ob es zu der Serie schon einen Thread gibt, aber hier ist mal ein IMO recht guter Artikel von mir, den ich kürzlich zum Thema Simpsons für das Retro-Printmagazin (und mein Blog) geschrieben habe.


    Von gelben Männlein und dem social web der 90er


    Bei der letzten Kolumne hatte ich im Einleitungssatz kurz die beliebte TV-Serie "Die Simpsons" genannt, nur um dann schnell auf das Thema VHS-Kassetten und "analogen Sperrmüll" überzuleiten. Für diese Ausgabe dachte ich mir nun, daß die Simpsons und ihre Entwicklung von den Anfängen als eigenständige Serie 1989 bis heute durchaus eine eigene Betrachtung verdienen. Wie von mir gewohnt, wird diese Betrachtung natürlich gegenüber dem 21. Jahrhundert nicht allzu positiv ausfallen. Der Leser mag sich nun trotzdem dezent fragen, was eine gelbe Trickserie mit Zeitgeistfragen und vor allem mit digitalem Retro zu tun hat. Eigentlich eine ganze Menge, speziell auch zum Thema digitaler Kommunikation vor dem glorreichen Web 2.0. Dazu später mehr.


    Die Simpsons begannen ihre Existenz als eigenständige Serie im Dezember 1989, nachdem die Figuren ab 1987 bereits in schrägen Kurzfilmen aufgetreten waren. Waren diese hauptsächlich auf geradlingen Humor aus, so entwickelte sich die Serie während der ersten Jahre in den frühen 90ern in eine andere und sehr ungewöhnliche Richtung: aus den gelben Strichfiguren wurden plötzlich realer wirkende Charaktere mit Tiefgang. Man könnte diese Entwicklung vielleicht mit dem vergleichen, was Carl Barks seinerzeit mit den Disney-Enten gemacht hatte: er hatte slapstickige Comedy-Enten genommen und nachvollziehbare "Menschen" aus ihnen gemacht. Charaktere mit Emotionen und Motivationen, "inner being", teilweise stereotyp, aber stets auch fähig, über sich selbst und ihre Rolle hinauszuwachsen. Wer Duck-Klassiker von Barks wie die "Nordpolfahrt" oder den "Goldenen Helm" gelesen hat, kann das Argument sicher nachvollziehen.


    Ähnlich geschah es seinerzeit mit den Simpsons, die ihre Wurzeln als Chaoten in Reinkultur gerade während Staffel 2 (1990/1991) deutlich hinter sich ließen und dem Primetime-Cartoon neue Impulse gaben. "To explore the inner being" von gelben Trickfiguren wurde plötzlich salonfähig und die Macher der ersten Jahre scheuten auch vor den Charakterentwicklungen nicht zurück. Eine berühmte "ernste" Story aus den frühen Jahren dürfte "Der Aushilfslehrer"/"Lisa´s Substitute" sein - in der Originalversion übrigens mit Dustin Hofmann als Mr. Bergstrom. Falls jemand diese frühen Folgen nicht oder kaum mehr kennt, ist das übrigens kein großes Wunder, denn der deutsche Seriensender Pro 7 hat sich entschlossen, die ersten drei Simpsons-Staffeln nicht mehr zu senden, da sich viele Zuschauer durch den älteren Stil "irritiert" fühlten. Ein Schelm, wer denkt, daß sich eventuell auch Werbekunden von den quotenschwächeren Uraltfolgen gestört fühlten.


    Natürlich war die Serie in ihren ersten Jahren noch weit mehr, als nur das Experiment, schrägen Trickfiguren Eigenschaften wie Sympathie und Empathie für andere zu geben. Es war ein Schatz brillanten und oft subtilen Humors - und von zahlreichen Zitaten aus der Filmgeschichte, der Literatur, der Americana und vielem mehr. Sicherlich kam auch die Satire nicht zu kurz, selbst wenn diese in ihrem Spott und den dunkleren Untertönen in den frühen Jahren oft weit subtiler blieb, als in späteren Zeiten. Es war eine Serie über all die Probleme der Welt und über die Schwierigkeiten des Individuums darin, es war aber unter Schichten von Sarkasmus stets auch eine Serie über das Gute im Menschen. Zu dem Thema sei gerne das gelungene Buch "Subversion zur Primetime" empfohlen, daß sich detailliert mit derartigen Fragen der Serie beschäftigt.


    Irgendwann gingen aber viele der besonderen Eigenschaften der Simpsons meiner Ansicht nach mehr und mehr verloren. Die Charaktere, die einstmals Tiefgang hatten, wurden zusehends zu Stichwortgebern für popkulturelle Gags, Satire und Referenzen wurden immer "dicker" unterstrichen und Stories immer formelhafter. Auch ernstere Inhalte oder gar Respekt für die Charaktere wurden mehr und mehr der direkten Unterhaltung untergeordnet und Folgen mit Humor überfrachtet. Heute haben wir eine hübsch bunte Serie mit Digitalkolorierung und inzwischen auch HD-Bildqualität, aber von der vielfältigen Klasse der ersten Jahre ist dieses moderne, gelbe Produkt nun leider meilenweit entfernt. Früher waren Episoden vielleicht "schlecht gezeichnet" und auf den ersten Blick gar sitcomig, im Detail waren sie aber oft deutlich mehr, als die Summe ihrer Teile. Was dabei zählte, war einmal mehr, was das Medium und die einzelne Folge auch jenseits von perfekter Technik für den Zuschauer bedeuten kann.


    So fanden sich denn gerade zum Ende der 90er Jahre viele Leute und Fans der ersten Stunde, die sich mit dem "neuen" Stil der Serie speziell ab Staffel 9 oder 10 nicht mehr wirklich identifizieren konnten. Die Charaktere wurden austauschbar und kritische Fans sahen nur noch "gelbe Männlein" als Ersatz für die einstigen Sympathieträger. Eine gute Anlaufstelle für Kritik an der Serie war seinerzeit jenes inzwischen veraltete Kommunikationsmedium namens Usenet, speziell die Newsgroup de.rec.tv.simpsons. Dort wurde mit Spaß über Qualität diskutiert, dort wurde aber auch aktiv gehandelt, z.B. mit eigenen Skripten zu Stories und mit Fansynchros, mit Kontaktaufnahmen mit Pro7 oder den Übersetzungsverantwortlichen (der inzwischen leider verstorbene Ivar Combrick war etwas berüchtigt für gewisse Stilblüten in der Synchronisation) und dem generellen Eintreten dafür, daß die Serie eine andere Behandlung verdient hat, als nur die eines Quotengaranten bzw. einer Trickserie für Kinder.


    Mit einem Wort: im social web vor dem Web 2.0 steppte der Bär zur Serie. So hatte de.rec.tv.simpsons in den späten 90ern vierstellige Beitragszahlen pro Monat (man möge google-groups bemühen, wenn es denn ordentlich funktionieren würde). Die heutigen Zahlen sind etwa bei Null. Dafür ist zum Einen sicher die Qualität der Serie verantwortlich, denn irgenwann hatten zahlreiche Fans der ersten Stunde doch aufgegeben bzw. konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie als Freunde von uralten Folgen online auf immer einsamerem Posten standen. Wo einstmals Reviews und Skripte mit etlichen Seiten geschrieben wurden, ist der Simpsonsfan 2011 oft nur am schnellen Newsfeed mit Topinfos zum nächsten Gaststar oder dem Klick auf den "I like"-Button zur neuesten Folge interessiert. Aktuelle Webseiten zur Serie sind in der Regel Newsseiten aus der Retorte, bei denen jeder Betreiber damit wirbt, der beste und schnellste zu sein. Wo aber ist all die Vielschichtigkeit und der Ideenreichtum geblieben, der einstmals sowohl die Serie, als auch die Diskussion darüber im Usenet ausgemacht haben?


    Im Frühjahr 2011 wurde dem deutsche Usenet übrigens noch ein deutlicher Hieb versetzt, als T-Online den eigenen Newsserver abgeschaltet hat. Anwender und Usenetter wurden 2 Tage vorher informiert, und relativ desinteressiert darauf hingewiesen, daß das Usenet nicht mehr zeitgemäß sei und man sich doch bitte auf Web 2.0 und Foren zu verlagern hätte.


    Chris

  • Die Diskussionen sind halt aus dem Usenet auf Maillinglisten, Foren, Live Journals sowie entsprechende Plattformen umgezogen. In etwa in dieser Reihenfolge.
    Nur weil man dort nicht hinterher gekommen ist, bedeutet es nicht das sie nicht mehr da waeren.


    Ansonsten verliert sich die Kritik an neuen Folgen in Allgemeinplaetzen und liegt gut zehn Staffeln hinter den aktuellen Folgen zurueck.
    Das ProSieben die alten Folgen nicht bis zur gaenzlichen Stumpfsinnigkeit wiederholt finde ich durchaus in Ordnung.
    Immerhin haben sie mehr als 450 Folgen zum zeigen und irgendwann moechte man mal etwas sehen wo man nicht schon den Text mitsprechen kann.
    Auch laufen die Simpsons im Nachmittags beziehungsweise Abendprogramm und werden nicht rein an Kinder adressiert beworben. [Sie laufen gleichrangig zwischen TAAHM und Big Bang Theory]

  • Ich sehe das übrigens ganz im Gegenteil. Die alten sind die besseren und nach meinem Wissen, sind die Fans nicht abgesprungen, weil sie sich missverstanden fühlen (wasn Quatsch), sondern einfach weil die Folgen (zurecht) einfach als zu dümmlich empfunden wurden. So geht es mri jedenfalls. Die Folge mit dem Aushilfslehrer war großartig und das Fandom sehnt sich zurück in die glorreichen 90er. Aber nach 20 Jahren ist die Luft nunmal raus. Das ist halt so. Es gibt kein Werk, dass mir einfällt, das solange Qualität halten konnte. Scheibenwelt fällt mir da ein, aber dann wirds eng. Wenn alles erzählt ist, gibt es eben keine Charakterentwicklung mehr. Genau wie ein alter Mensch keine Erziehung mehr braucht. Dann ist es zu spät.



    @Bluesman: Ich hab außerdem so das Gefühl, dass du dich in diesem "keiner versteht mich und meinen Lebensstil" aalst ;)

  • Ja also irgendwie mutiert diese Kritik gegen Ende plötzlich zur Usenet-Werbung/Schwärmerei. Dabei gibt es über die Entwicklung der Simpsons durchaus ja noch ein paar Dinge zu sagen. Erstmal, dass vor allem die Showrunnerwechsel wohl die Ursache für den Qualitätsabfall sind. Mit Mike Scully verlor die Serie erst ihre Bodenständigkeit, dann irgendwann auch die Lust Geschichten zu erzählen. Und mit Al Jean wurde es irgendwann so dümmlich, dass man gar nicht mehr zuschauen konnte. Vor allem der veränderte Aufbau, anstatt 20 Minuten etwas zu erzählen, 6-7 Minuten für irgendeine kleinere, sinnfreie Geschichte draufgehen zu lassen, die die eigentliche Handlung einleitet, wirkte so, als würde man dem Zuschauer nicht mehr zutrauen, an einer echten Handlung interessiert zu sein. Nur noch blöde Gags und Slapstick, teilweise in jeder Folge irgendeinen reingeschustertern Gastauftritt eines Prominenten - unerträglich ! Man muss aber auch festhalten, dass trotz Al Jean die Serie in den letzten 2-3 Jahren dann doch wieder besser geworden ist. Wenn man z.B. heute abend mal reingeschaut hat - da lief je eine Folge aus Staffel 22 und 21, das waren wieder in sich schlüssige Geschichten, vom Ton her leider immernoch etwas kindischer und naiver erzählt als es in der goldenen Ära der Fall war, aber immerhin, man kann sich die Simpsons inzwischen wieder anschauen. Auch wenn die Serie wahrscheinlich nie zu der gesellschaftlichen Relevanz zurückfinden wird, die sie vor 15 Jahren noch hatte. Da haben ihr andere Serien den Rang abgelaufen - wie South Park (das in letzter Zeit aber auch arg schwächelt; Popkultur-Referenzen zusammenklatschen allein reicht nicht). Ein schönes Experiment in der Hinsicht ist übrigens sich mal von beiden Serien die World of Warcraft Episoden anzuschauen. Während "Make Love, not Warcraft" tatsächlich drin ist in der Materie, kann "Marge Gamer" zwar mit einem netten Gag über die Nutzervereinbarung aufwarten, verliert sich aber dann doch in einer eher weltfremden -für die Serie wie bereits erwähnt typisch kindisch/naiven- Darstellung der Onlinewelt. Und die Szene am Ende, in der sich die Springfield-Bewohner mit den Gedärmen Barts vergnügen, kann nur als peinlicher Versuch gewertet werden, den exzessiven Splatterszenen, die South Park manchmal zelebriert, nachzueifern, um bei Zuschauern zwischen 14-30 wieder mehr zu punkten.
    Aber gut, wie gesagt sieht es inzwischen ja so aus, als hätten sich die Simpsons wieder etwas erholt. Aber ob es reicht, halbwegs nette Geschichten zu erzählen, bleibt abzuwarten, denn im Gegensatz zum gerade erwähnten South Park wirken die Simpsons weiterhin seltsam entrückt vom echten Leben, und das ist im neuen Jahrtausend aber nicht mehr gefragt. Selbst Science-Fiction und Fantasy-Serien müssen heutzutage eine Allegorie auf die Realität darstellen, um beim Publikum anzukommen. Was sich nicht am Puls der Zeit bewegt, ist tot.

  • Die Simpsons sind ein Stück Zeitgeist...



    Klingt ziemlich dämlich oder?


    Auch ich habe in den letzten zwölf jahren (vorher war ich bewusstseinstechnisch nciht weit genug) beunruhigt festgestellt wie weit sich die einst so tiefsinnige Serie von ihren einstigen Schwerpunkten die Noch eine Geschichte erzählt haben und oft ein Stück weit einen "Und die Moral von der Geschicht'" Faktor hatten, wegbewegten um hohler Unterhaltung Platz zu machen.
    Allerdings deutete ich die Zeichen anders. Und hier sind wir auch schon bei meinem Anfangsssatz.
    ich habe die Simpsons immer als einen Spiegel unserer Gesellschaft gesehen. Mag sein dass es mein subjektives Empfinden ist, aber ich hatte in der verganenen Dekade immer den Eindruck, dass die Menschen sich zunehmend in Elektronik eingraben, sich alles immer einfacher machen wollen. viele ziehen heute einen platten aber tabu-verletzenden Witz einer auf intelektuellem Niveau komischen Anekdote vor, weil es schneller geht als darüber nachzudenken. Inteligente Geschichten brauchen Zeit und Hirn, und das scheinen viele heute einfach nicht mehr zu haben. Ist die Quote Gags/Minute nicht eingehalten wird etwas zur Zeitverschwendung weil alles immer schneller, schneller und noch schneller sein muss = hohle Witze mit Spaßhämmern


    Vielleicht sehe ich das morgen früh anders, aber im Augenblick vertrete ich eigentlich die Ansicht, dass die Simpsons nur das Symptom einer kranken Zeit sind. Hoffentlich werden sie wieder wikrlich sehenswerter.


    MfG
    -Roe

    Meine Wahrnehmung für die Umgebung schwand, als ich einen leisen Singsang unsinniger Silben anstimmte und die Energie bündelte, die ich in dem Kreis brauchte, den ich um mich gezogen hatte. Erst später erinnerte ich mich, dass ich "Ubriacha, ubrius, ubrium" zur Titelmusik der "Peanuts" gesungen hatte.


    ~ Harry Dresden

  • Jein. Man hat diese Veränderungen zwar sicherlich auch gemacht, um sich den Zeitgeist anzupassen - oder aber eben besser gesagt dem anzupassen, was man für den Zeitgeist hält. Und es ist zwar richtig, dass man durchaus den Eindruck gewinnen könnte, unsere immer schneller werdende Gesellschaft, die den Menschen in einer permanent steigenden Frequenz Informationen aussetzt, dass diese Welt ihre Bewohner dahingehend erzieht, dass sie nicht mehr in der Lage sind, längere, komplexe Informationen zu rezipieren. Nur stimmt das wirklich ? Haben sich nicht die Menschen, ob jung oder alt, in den letzten Jahren auch hingesetzt und kiloschwere HarryPotter-Bücher gelesen ? Haben sie sich nicht stundenlang ins Kino gesetzt und Herr der Ringe geschaut ? - gern auch mal alle drei Filme am Stück im 10 Stunden Special ? Und waren nicht in den letzten Jahren viele Fernsehserien erfolgreich, die über mehrere Jahre hinweg eine durchgängige Geschichte erzählten, oder zumindest komplexerere Charakterentwicklungen auf der Haben-Seite stehen hatten ? - im Gegensatz übrigens zu den 80ern, in denen die Zuschauer wahrscheinlich tatsächlich verstört gewesen wären, wenn am Ende einer Folge nicht alles wieder so wie am Anfang gewesen wäre.
    Deshalb muss man immer ein bißchen vorsichtig sein, wenn man den aktuellen Zeitgeist bewertet. Die Simpsons haben vielleicht nicht diesen Weg eingeschlagen, weil es die Zuschauer wollten, sondern weil die Macher nur dachten, die Zuschauer würden das wollen.

  • Ja also irgendwie mutiert diese Kritik gegen Ende plötzlich zur Usenet-Werbung/Schwärmerei.


    Stimmt. Weil es aber ein Artikel für eine Zeitschrift mit festem Themenrahmen war, musste ich aus der Simpsons-Kritik (was eigentlich mein hauptsächliches Anliegen war) halt auch etwas ein Computerthema machen. Und weil es allgemein und kurz zu halten war, wirken viele Argumente auch etwas holprig. Beim richtigen Fangebabbel würde dann eher mit englischen Folgentiteln, P-Codes, Produzenten und Serien-Ären rumgeworfen.


    Die Simpsons sind übrigens einige der wenigen Serien, die ich bis vor kurzem noch aktiv verfolgt habe. Nicht per Fernsehen, aber hilfreiche Menschen haben mir englische Folgen als MPEG1 oder VHS zukommen lassen. Meine persönliche Lieblingszeit der Serie endet mit Staffel 7, ist schon sehr lange her.


    Hier noch ein Beitrag von mir zum Thema, allerdings schon etwas älter und auf andere Foren bezogen, sowie mit Fan-Chinesisch:


    Die große Simpsons-Misere


    Nochmal generell zum Problem, das Thema macht mir gerade irgendwie Laune zum Posten: ich bemühe mich ja auch stets, freundlich zu aktuellen S1x-Staffeln zu sein und in den vergangenen Jahren (besonders im Mittelfeld der Jean-Ära, also S15/S16) gab es auch gute Entwicklungen. Da gab es IMO Folgen, die eben durchaus das Potential hatten, sowohl Langzeitfans, als auch die neue Zielgruppe zu "bedienen". Sicher nicht mit dem Stil der klassischen Jahre, aber ich hatte den Eindruck, daß die Macher um Al Jean bemüht waren, so manch spezielle Eigenschaften der Serie (den Stil, die Vielfältigkeit, den Respekt für Zuschauer und Charaktere) halbwegs zu würdigen.


    Seit etwa Staffel 17 habe ich aber wieder den deutlichen Eindruck, daß das alles zugunsten des größtmöglichen Marktes vernachlässigt wird. Das Motto scheint mir zu sein: wofür noch Fans der ersten Stunde und/oder Freunde von Tiefgang und durchdachter Handlung ansprechen, wenn der kritikfaule Gelegenheitszuschauer und all die ROTFL-Kiddies die Quote genauso füllen? Gerade Staffel 19 ist IMO ein perfektes Beispiel für die erneute Zuwendung an den Massenmarkt. Und das geht soweit, daß ich Folgen aus der Staffel neulich buchstäblich in den Mülleimer geworfen habe, weil ich sie kein zweites Mal mehr sehen wollte. Das ist kein gutes Zeichen.


    In den klassischen Jahren war die Serie ein riesiger Schatz (jepp, ein weit größerer Schatz als ein kewles Autogramm von Matt Groening) von Zitaten und Referenzen auf Literatur, auf Kunst, auf klassisches Kino etc etc., das Ganze durchdrungen von echtem Respekt für die Charaktere, von Denkanregung, von scharfer Sozialkritik auf subtilste Weise, von Tiefgang. So ganz nebenbei fügte sich all das zusammen mit dem storybezogenen Humor flüssig in echte Handlungen ein, die uns etwas Ambitioniertes zu erzählen hatten.


    Wobei die Ambition eben nicht nur Humor und Sozialkritik war, sondern auch jene, Dinge zu tun, die im US-Cartoonwesen einfach Neuland waren, wie z.B. das Seelenleben der Charaktere und deren Ängste und Hoffnungen zu erforschen ("Moaning Lisa", "Fast Lane", "Substitute" und viele mehr bis rauf zu "4 Ft 2" in S7) Und das Ganze in Balance mit guten Spaß- und Humorfolgen, auch diese natürlich mit Stil und dem Geist der frühen Jahre. Die letzten Produzenten, die das richtig erkannt und umgesetzt hatten, waren IMO Oakley und Weinstein in S7/S8.


    Und trotz all dieser Zitate und Verbindungen war die Serie bei Zuschauerschichten jeden Alters beliebt. Man musste die Zitate und Anregungen nicht erkennen, um Freude an der Folge zu haben (das berühmte laterale Apropos), aber sie waren immer der große Bonus. Nur was passierte jetzt in den letzten Jahren und speziell in Staffel 19? Etliche Gags sind reinkonstruiert, irrelevant für die Handlung, überdehnt und wiederholt, fast alles ist für den größtmöglichen Zuschauerkreis "dick unterstrichen", lasche (Popkultur-)Referenzen und Gags werden sofort und umfangreich erklärt. "Handlungen" sind bis auf wenige Ausnahmen Standardschemen oder ziellose Anhäufungen von Gags und Laufzeitvergeudung zugunsten seichter Unterhaltung - siehe z.B. mein Review zu "You Kent Always Say".


    Dies alles wohlgemerkt nicht immer, aber gerade in den letzten Jahren immer öfter. Es gibt in S19 durchaus auch mal eine Citizen-Kane-Referenz, die unerklärt bleibt, oder einen schönen Charaktermoment, aber all das droht nun in einer Flut von "Massenmarkt-Qualitäten" erneut unterzugehen. Ein gutes Beispiel sind hier auch die Schlüsse bei Al Jean: gab es früher Schlüsse, die den Zuschauer einfach emotional beeindrucken wollten ("Mother Simpson" & Co) und dadurch Wirkung hatten oder Schlüsse, die auch dunklere Töne und Denkanregungen hatten ("Two Cars" & Co), ist der Schluß heute fast aus Prinzip ein Gag oder eine lustige Szenenmontage. Warum? Damit die Zuschauer mit einem leichten Lacher gehen und beim nächsten Mal sicher wieder Teil der Quote sein werden.


    Und das zeigt einen groben Mangel an Respekt, sowohl für das Potential der Serie, als auch für die Charaktere und deren Eigenschaften und Vergangenheit - last but not least natürlich auch Mangel an Respekt für den Zuschauer selbst. Und das betrifft selbst die ROTFL-Kiddies, denn auch die bekommen halt nun vorzitiert, wo der gelbe Spaß sitzt und wo sie zu lachen haben. Die stört das nur eben nicht und daher sind sie nun die große Zielgruppe. Und schon haben wir die beste Staffel aller Zeiten. Sehr, sehr schade.


    Und ich glaube nicht, daß wir aus dieser Misere nochmal rauskommen. S15 wäre IMO die große Chance gewesen, mittlerweile ist die verspielt. Trotzdem hoffe ich halt weiter und versuche es zu vermeiden, Folgen in den Mülleimer zu werfen (bei S19 hat das leider nicht geklappt.) Es gibt zwei oder drei interessantere Folgen in der Staffel und ein paar treffende Anregungen und Bezüge, aber die Simplifizierung und Abwärtstendenz bzw. die Stagnation ist mir zu überdeutlich. Es wäre wohl auch an der Zeit für einen neuen Executive Producer, aber ob das noch was bringt?


    In Deutschland haben wir darüber hinaus auch das Problem, daß gerade die Leute, die neue Folgen aus Prinzip gut finden, oft mit grobem Unverständnis und aggressiv auf Kritik daran reagieren. Als echter und loyaler Fan muß man die neuen Folgen gut finden, man darf die kewlen Gelben nicht kritisieren, alles ist so lustich und so muß es auch sein. Und Folgen, in denen es anders war und die nicht so lustich waren, sind von früher und langweilig. Bläh. In den USA ist das IMO etwas anders, auf NHC gibt es z.B. durchaus auch Leute, die neue Folgen und Staffeln auf bestimmte Weise gut finden, dies aber auch ausführen und begründen können und wollen.


    Und das ist mit ein Grund, warum dort noch traffic und Leben ist, drts und NeSp dagegen am Ende sind. Und da spielt auch wieder die deutsche Mentalität mit rein, die Trickserien als Kinderformat betrachtet. Ein Sender wie Pro7 tut da natürlich auch nichts dagegen, dies zu hinterfragen, sondern stopft halt alle quotenschwachen Programmlücken mit den "gelben Chaoten" voll und übersättigt das TV-guckende Publikum. Deswegen quittieren viele Langzeitfans aktuelle Folgen nur noch mit einem untätigen Achselzucken (mit Blick auf die S19-Qualität kann man ihnen das auch nicht verdenken) und haben generell auch keine Lust mehr, ältere Folgen und Klassiker oder positive S1x-Aspekte aktiv anzugehen und zu diskutieren. Die Medienüberschwemmung im Digitalzeitalter, in der selbst ein brillanter Staffel-2-Klassiker nur noch ein Krümel im digitalen Terabyte-Ozean ist, trägt sicher auch mit dazu bei. Aber das ist ein anderes Thema.


    Was bleibt, sind Kurzzeitfans und die junge Zielgruppe, die gerade hierzulande durch die Mentalität von jugendbezogener Unterhaltung auch keine Motivation für "mehr" hat und Kritik als langweiligen Verrat am Spaß betrachtet. Die werden sicher auch älter, laufen dann aber vermutlich eher zu den krasseren (In-)Serien, als sich für die Simpsons-Qualitäten hinter der Unterhaltung offen zu zeigen. Und daher bleibt die neue kritische Mitte hierzulande wohl weiterhin eine Utopie.


    Review zu Folge 7F02 “Simpson & Delilah”


    Okely-Dokely, schreibe ich halt mal wieder ein Review Ich habe mir für heute eine Folge aus S2 ausgesucht, die inhaltlich und vom Stil her IMO sehr gut gelungen ist, die aber in Bestenlisten und Abstimmungen (siehe auch wieder NHC) nicht oder nur selten auftaucht: nämlich 7F02 "Simpson and Delilah". Erstsendung 18.10.1990, geschrieben von einem meiner OFF- Lieblingsautoren, Mr. Jon Vitti.


    Ich habe die Folge schon etwas länger nicht mehr gesehen, denn gerade Staffel 2 sollte man IMO relativ selten anschauen, um die Wirkung der Folgen aufrecht zu erhalten. Einmal im Jahr sollte hierzu genug sein. Ich hoffe dennoch, daß ich das Review noch halbwegs zusammenbringe ;-). Habe ich schon mal ein Review zu der Folge geschrieben? Falls ja, dann ist der folgende Text auf jeden Fall unabhängig davon und neu.


    Warum wird 7F02 oft wenig beachtet, wenn es um herausragende Folgen der Staffel geht? Nun ist die Konkurrenz in der besten Staffel aller Zeiten natürlich enorm. Was die Folge vielleicht etwas weniger einprägsam als andere Satiren aus jener Zeit macht, ist eine gewisse Zurückhaltung in der Aussage. Die satirische Ebene bezieht sich (klassisch überzeichnet) darauf, wie Oberflächlichkeit in der Gesellschaft dazu führt, daß ein Aufstieg in der Gesellschaft rein durch Äußerlichkeiten bewirkt werden kann - wie Homer nur durch neue Haare und neuen Look sogar Monty Burns Ablehnung des "gewöhnlichen Arbeiters" für kurze Zeit überwindet.


    Was diese Aussage in ihrer Schärfe vielleicht dezent abschwächt, ist schlicht die Tatsache, daß die Folge außerdem sehr viel Wert auf die Charaktere selbst legt und auch darauf, Sympathie für die Charaktere zu betonen. Das ist IMO eine typische Eigenschaft der Vitti-Episoden in den frühen Jahren. Hätte die Schärfe der sozialen Kritik in 7F02 besser funktioniert, wenn die Folge weniger nett gewesen wäre? Unter Umständen, aber gerade der "menschliche Faktor" neben der Satire ist hier wieder ein wunderbar klassischer S2-Aspekt.


    Nun finden wir diesen Aspekt neben Homer in der Folge ja speziell in einem sehr interessanten Kurzzeitcharakter - Homers Assistenten Karl. Ohne plumpe homosexuelle Klischees im S1x-Stil (aber mit einigen für die damalige Zeit wohl etwas gewagten Andeutungen in diese Richtung) zeigt uns die Folge Karl als einfach unglaublich guten Menschen, der Homer ohne ersichtlichem Grund beisteht und in der intriganten Welt des SNPP dadurch wie ein Fremdkörper wirkt. Besonders gelungen ist die Szene, als er Homer im strömenden Regen seinen Schirm überläßt.


    Ein weiterer Charakter, der Aufmerksamkeit verdient, ist sicherlich auch wieder Monty Burns. Selbst wenn seine Auftritte nun nicht ganz so bemerkenswert sind, wie etwa in "Two Cars", zeigt er doch wieder alle seine klassischen Eigenschaften - seinen Stil, seine wunderbar blumige Sprache ("Blast his hide to Hades"), seine sehr eigene Form von Kultiviertheit ("I was watching the Dumont last night, when I happened to catch a fascinating documentary on Rommel, the Desert Fox..."), aber auch seine Abgehobenheit im Executive Washroom und seine ständige Verachtung der Arbeiterklasse ("Cretins", "Let the fools have their tar-tar sauce...")


    Überhaupt ist jener Executive Washroom die vielleicht brillanteste satirische und visuelle Idee der gesamten Folge. Man beachte hier auch den schönen Szenenwechsel von den Bodenkacheln auf die Außenfenster des Gebäudes - die Qualität der Animation ist beachtlich. Aber nochmals zurück zu Monty Burns: die Folge zeigt uns auf eine glaubhafte Weise noch eine weitere Facette - als er Homer am Ende seinen alten Job wiedergibt (und uns sogar die Motivation erklärt) sehen wir auch bei ihm jene Qualität, die die Episode durchzieht: Menschlichkeit. Ein Monty Burns aus besseren Tagen, bevor er zur stereotyp altmodisch-babbelnden Witzfigur wurde.


    Nebenbei bringt uns der Schluß natürlich auch zum Status Quo der Serie zurück, aber eben mit Stil. Die Szene mit Homer und Marge im Bett erinnert wieder an "Two Cars", und auch wenn die düstere Komponente hier eher fehlt, ist die Aussage ähnlich: Homer kann zuhause glücklich sein, wo er als Glatzkopf akzeptiert wird, an der Oberflächlichkeit der Welt draußen kann der Einzelne jedoch nichts ändern. Hier scheint trotz des positiven Tons eben auch wieder der auf die Welt bezogene Pessimismus mancher S2-Folgen wie "8th Commandment" oder "Itchy & Scratchy & Marge" durch.


    Was gibt es noch zu sagen: sehr schöne Animation - neben dem schon genannten Executive Washroom ist auch noch jene Szene zu erwähnen, in der Burns von Smithers über den Versicherungsbetrug informiert wird (was visuell später von der Judas-Szene in "Blood Feud" noch übertroffen wird.) Astreine Sprecherleistung von Dan Castellaneta, Harry Shearer und Gast Harvey Fierstein. Wie alle Leute, die bei OFF mitgemacht haben, bevor es popkulturelle "Pflicht" für Stars wurde, verdient er natürlich besondere Erwähnung. Viele gelungene Gags, Dialoge, Details und natürlich die nette visuelle Referenz auf Frank Capras "It´s A Wonderful Life".


    Fazit: obwohl 7F02 relativ selten mit zu den besten Folgen von Serie und Staffel gezählt wird, sollte sie IMO jedoch auf jeden Fall ganz vorne mit dabei sein. Eine vielleicht dezente Zurückhaltung in der Schärfe der Satire wird durch Sympathie und Aufmerksamkeit für die Charaktere ausgeglichen. Vieles läßt sich auch wieder zwischen den Zeilen finden. Im Endeffekt kann man doch wieder nur zur in S2 noch sehr häufigen Bestnote greifen. Note 1


    Chris


    P.S. Früher habe ich auch selbst Drehbuchskripte zu den Simpsons geschrieben. Falls Interesse besteht, kann ich gerne ein paar Links posten.

  • Interessante Kritik, die aber auf einer irrsinnigen Behauptung fußt. Die Charaktere hätten sich von ihrer Tiefe wegbewegt? Wie bitte? Seit wann hatten die Simpsons jemals eine Tiefe? Wenn man das der Sozialkritik unterschiebt, na gut, kann ich mit leben, aber die Charaktere waren schon immer Stereotypen und genau deshalb so witzig.

  • In Deutschland ist man aktuell bei der 2x, wenn ich mich nicht irre.
    Nun und was Leute, welche die Serie immernoch sehen, stoert, ist das die Kritik an den neuen Folgen oberflaechlich bleibt, das sie teilweise nichtmals mehr geschaut werden, jedoch dennoch verurteilt.

  • Interessante Kritik, die aber auf einer irrsinnigen Behauptung fußt. Die Charaktere hätten sich von ihrer Tiefe wegbewegt? Wie bitte? Seit wann hatten die Simpsons jemals eine Tiefe? Wenn man das der Sozialkritik unterschiebt, na gut, kann ich mit leben, aber die Charaktere waren schon immer Stereotypen und genau deshalb so witzig.


    Irrwitzig würde ich die Behauptung nicht nennen. Gerade in den klassischen Jahren wurde bei den Hauptcharakteren auf eine genauere Charakterisierung wert gelegt, was auch vielen Leuten wichtig war.


    Chris

  • Richtig! Und Sachen wie Becker werden dann um elf Uhr verramscht! Ein Wunder, dass sich House solange halten konnte, auch wenn das ebensoo immer übertriebener und "soapiger" wird.

  • Also so Philosophisch und Sozialkritisch habe ich persönlich das jetzt nicht Empfunden was in die Simpsons in früheren und neueren Folgen Abgehandelt wurde (nichts für ungut)
    doch ich fand es in den Älteren Folgen doch gut das auf soetwas wie ein AHA hingearbeitet wurde und zwar mit einer Hauptstory die ganze Folge durch.


    Doch was mich nervt und der Grund warum ich mir die Serie schon länger nicht mehr Anschaue ist ganz einfach, das in einer Folge die Storys für mich viel zu Konfus geworden sind.
    Es werden einfach viel zuviele Handlungsstränge in eine Folge gepackt. (was in einem Koffein Rausch sicher spassig ist)
    Daher nichts mehr für mich